Rosemarie Nitribitt 1933 - 1957

„Rosemarie” (eigentlich Rosalie Marie Auguste) Nitribitt ist eine Frankfurter Prostituierte, die mit 24 Jahren im Jahr 1957 ermordet wird. Ihr nie aufgeklärter Tod ist einer der spektakulärsten Mordfälle der jungen Bundesrepublik. An ihrer Geschichte zeigt sich auch die Doppelmoral der bundesrepublikanischen Gesellschaft: Nitribitt wird einerseits moralisch verurteilt, andererseits fasziniert sie Männer wie Frauen als Symbol für Luxus, Lust und vermeintlichen sozialen Aufstieg.

  • 1933

    1. Februar: Rosalie Marie Auguste (»Rosemarie«) Nitribitt wird in Ratingen bei Düsseldorf geboren. Ihre Mutter Maria ist 18 Jahre alt, ihren Vater lernt sie vermutlich nie kennen. Sie wächst in ärmlichen Verhältnissen mit zwei jüngeren Halbschwestern auf.

  • 1936

    Das Düsseldorfer Jugendamt erklärt Maria Nitribitt für „schwachsinnig“ und entzieht ihr das Sorgerecht für ihre Kinder. Rosemarie und ihre Halbschwester Irmgard werden wegen „drohender Verwahrlosung“ in ein Kinderheim in Eschweiler bei Aachen eingewiesen.

  • 1938

    September: Rosemarie und Irmgard werden in ein Erziehungsheim in Düsseldorf-Herdt überstellt.

  • 1939

    Frühjahr: Rosemarie wird einer Pflegefamilie in der Kleinstadt Niedermendig bei Mayen in der Eifel zugeteilt.

  • 1944

    Die elfjährige Rosemarie wird Opfer einer Vergewaltigung durch einen 18-Jährigen. Obwohl die Tat in dem kleinen Eifeldorf bekannt wird, wird das Verbrechen nicht angezeigt und der Täter nie zur Rechenschaft gezogen.

  • 1946

    Nitribitt kommt durch zwei ältere Freundinnen in Kontakt mit dem Rotlichtmilieu. Sie beginnt, sich selbst zu prostituieren. Zu ihren Freiern zählen viele amerikanische und französische Soldaten.

  • 1947

    Nitribitt ist schwanger und lässt eine Abtreibung vornehmen, die für sie beinahe tödlich endet.

    Nach einem Hinweis durch den Pfarrer Niedermendigs ordnet das Amtsgericht Mayen Nitribitts Unterbringung in einem Fürsorgeheim an. Das Mädchen setzt sich jedoch zuerst nach Koblenz, dann nach Frankfurt am Main ab.

    Hier arbeitet sie als Kellnerin, Mannequin und Gelegenheitsprostituierte, bis sie von der Polizei aufgegriffen wird. In den folgenden Jahren wechseln sich Heimunterbringungen, Anstellungen und Fluchten nach Frankfurt immer wieder ab.

  • 1950

    Nitribitt arbeitet für ein halbes Jahr als Hausmädchen und Aushilfsbedienung bei einer Familie, die in Andernach ein Café betreibt.

  • 1951

    März: Nitribitt erhält eine Anstellung als Haushaltshilfe bei den Besitzern einer Hühnerfarm in Mayen.

    Mai: Sie gerät erneut in Konflikt mit der Polizei in Frankfurt.

    August: Nitribitt wird wegen „Landstreicherei“ zu drei Wochen Haft in der Jugendstrafanstalt in Frankfurt-Preungesheim verurteilt.

    Danach taucht sie unter und verdient ihr Geld als Prostituierte im Frankfurter Bahnhofsviertel.

  • 1952

    16. April: Nachdem die Polizei Nitribitt in Frankfurt aufgegriffen hat, wird die junge Frau in der berüchtigten Arbeitsanstalt Brauweiler inhaftiert. Sie klebt dort unter anderem Tüten und arbeitet in der Weberei.

  • 1953

    April: Von Brauweiler kommt Nitribitt in ein Koblenzer Heim. Bald flüchtet sie wieder.

    14. August: Das Amtsgericht Mayen hebt die Anordnung über die Fürsorgeerziehung der 20-Jährigen auf. Sie wird vorzeitig für volljährig erklärt.

    Ab Herbst: Nitribitt mietet in Frankfurt am Main ein Zimmer.

  • 1953-1957

    Nitribitt arbeitet als Prostituierte. Sie sucht sich bewusst wohlhabende Freier aus und inszeniert sich als „Edelhure“. Bald verdient sie so gut, dass sie sich bessere Mietwohnungen und teure Autos leisten kann. So fährt sie mit ihrem Mercedes 190 SL – neben ihrem weißen Pudel als Markenzeichen – durch die Frankfurter Innenstadt und gabelt dort Kunden auf.

    1954 übersteigt ihr Jahreseinkommen das durchschnittliche bundesdeutsche Jahreseinkommen um das Siebenfache.

    Nitribitt ist in Frankfurt stadtbekannt. Unter ihren Freiern und Bekannten sind zahlreiche Prominente und Unternehmersöhne aus einflussreichen Familien der jungen Bundesrepublik.

    Sie absolviert Benimmkurse und lässt sich Sprachunterricht geben, um in der „gehobenen Gesellschaft“ nicht aufzufallen.

  • 1954

    Nitribitt steht wegen Erpressung vor Gericht, wird aber freigesprochen.

  • 1957

    Oktober: Nitribitt kauft ein schwarzes Mercedes-Coupé 300 S mit dunkelgrünen Ledersitzen für 34 500 D-Mark – damals ein sehr hoher Geldbetrag.

    Sie sucht nach weiteren geeigneten Geldanlagen für ihr mittlerweile beachtliches Vermögen.

    1. November: Der Haushaltshilfe Nitribitts fallen Brötchentüten, die sich seit Tagen vor der Wohnungstür der Prostituierten stapeln, und das Jaulen ihres Pudels in der Wohnung auf. Die gerufene Polizei öffnet die Wohnung der 24-Jährigen in der Stiftstraße 36 am Eschenheimer Turm. Dort findet sie Nitribitt mit einer Platzwunde am Kopf und Würgemalen am Hals tot auf. Die Polizei schätzt, dass sie zu diesem Zeitpunkt bereits seit drei Tagen tot ist. Es sei zudem eine größere Menge Bargeld gestohlen worden.

    Die Mord-Ermittlungen sind von zahlreichen Pannen begleitet. In Nitribitts Adressbuch befinden sich Kontakte zu bekannten Persönlichkeiten. Darunter sind Harald von Bohlen und Halbach aus der Krupp-Familie und die Industriellensöhne Gunther Sachs und Harald Quandt. Sie werden teilweise nur sehr oberflächlich vernommen, da die Kriminalpolizei von einem Raubmord ausgeht und sie wegen ihres Vermögens als Täter ausschließt.

    Es entstehen Spekulationen, ob einflussreiche Kreise eine Aufklärung des Falls zu verhindern suchen. Der Mord beherrscht wochenlang die Titelseiten und sorgt für Rekord-Verkaufszahlen bei Illustrierten und Zeitungen. In der prüden Nachkriegsgesellschaft wird „die Nitribitt“ geradezu zum Synonym für Luxus, Laster und Lotterleben.

    11. November: Rosemarie Nitribitt wird im Beisein ihrer Mutter und Schwester auf dem Düsseldorfer Nordfriedhof beigesetzt.

  • 1958

    6. Februar: Die Polizei verhaftet den Handelsvertreter Heinz Christian Pohlmann, ein Freund von Nitribitt. Der arbeitslose und hochverschuldete Pohlmann gerät in Verdacht, Nitribitt getötet zu haben, weil er sich kurz nach ihrem Tod einen neuen Mercedes kauft und überraschend Schulden bei seinem ehemaligen Arbeitgeber begleicht.

    28. August: Der Film „Das Mädchen Rosemarie“ kommt in die Kinos. Er ist an die Figur Nitribitts angelehnt, erzählt aber ansonsten eine fiktive Geschichte und stellt ihren Tod als Folge einer Verstrickung in Industriespionage dar.

    Schon die Ankündigung des Films sorgt für Proteste und Empörung. Das Auswärtige Amt versucht erfolglos die Veröffentlichung des Films zu verhindern, da er „falsche Vorstellungen von den wirtschaftlichen und sozialen Verhältnissen der Bundesrepublik“ wecke. Auch der Filmdienst der Katholischen Kirche kritisiert die „Verherrlichung eines unmoralischen Lebens“.

    Schließlich wird der Film zum umsatzstärksten Kinofilm der Saison 1958/59 und läuft in ganz Europa, Nordamerika und Israel. Er ist der erste einer Reihe von Filmen, die sich mit der Figur der Rosemarie Nitribitt beschäftigen. Drehbuchautor Erich Kuby liefert bald auch das Buch zum Film nach („Rosemarie. Des deutschen Wunders liebstes Kind“). Das Buch wird in 14 Sprachen übersetzt und macht Kuby reich.

    29. Dezember: Heinz Pohlmann wird vorläufig freigelassen, nachdem sich mehrere Indizien als falsch erweisen.

    Er schließt einen Vertrag mit der Münchner Illustrierten „Quick“, der er seine Memoiren und Erinnerungen an Rosemarie verkauft. Die „Quick“ lässt außerdem 50.000 DM Belohnung ausschreiben für Hinweise, die zur Ergreifung des Mörders von Nitribitt führen. Dieselbe Summe stellt auch die Frankfurter Staatsanwaltschaft zusammen mit Rosemaries Mutter in Aussicht. Dies ist die bis dahin höchste Belohnung in der deutschen Kriminalgeschichte.

  • 1959

    Der zweite abendfüllende Nitribitt-Kinofilm „Die Wahrheit über Rosemarie“ wird ein Flop. Die Handlung des Films basiert diesmal auf den Erzählungen Pohlmanns aus der „Quick“.

  • 1960

    Juni: Am Frankfurter Landgericht beginnt der öffentliche Prozess gegen Heinz Pohlmann. Das Interesse an dem Fall ist enorm: Zuschauer stehen schon frühmorgens vor dem Gerichtssaal an, um einen Platz zu ergattern.

    11. Juli: Pohlmann wird aus Mangel an Beweisen freigesprochen. Damit wird die Akte von Rosemarie Nitribitt geschlossen, ihre Ermordung nie aufgeklärt.

  • 1967

    Zehn Jahre nach dem Tod der Prostituierten geraten gefälschte „Nitribitt-Gedenk-Briefmarken“ in den Umlauf. Der Urheber wird in der DDR vermutet und nie gefunden.

  • 1981
    Rainer Werner Fassbinder lehnt die Protagonistin seines Films „Lola“ optisch an Rosemarie Nitribitt an.
  • 1986

    Über 8 Millionen Zuschauer sehen den Fernsehfilm „Die Nitribitt. Ein Mord und viele Täter“ von Samuel Schirmbeck.

  • 1996

    Der Produzent Bernd Eichinger inszeniert ein Remake der ersten Nitribitt-Verfilmung mit Hauptdarstellerin Nina Hoss als Rosemarie.

  • 2008

    10. Februar: Nachdem die Frankfurter Staatsanwaltschaft den Schädel von Nitribitt, der bisher im Frankfurter Kriminalmuseum zu Lehrzwecken aufbewahrt wurde, freigegeben hat, wird er in ihrem Grab auf dem Düsseldorfer Nordfriedhof bestattet.

 

(se) © Stiftung Haus der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland
Stand: 24.08.2016
Text: CC BY NC SA 4.0

Empfohlene Zitierweise:
Eimermacher, Stefanie: Biografie Rosemarie Nitribitt, in: LeMO-Biografien, Lebendiges Museum Online, Stiftung Haus der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland,
URL: http://www.hdg.de/lemo/biografie/rosemarie-nitribitt.html
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