Dieser Beitrag wurde von Lutz Baumann (*1953) im Jahr 2014 in Berlin verfasst.

„Majestätsbeleidigung“ beim „DEFA-Augenzeugen“

Ende der sechziger Jahre gab es noch vor jedem Hauptfilm eine Wochenschau, den „DEFA-Augenzeugen“. Wir saßen in der schützenden Dunkelheit des Kinos. Flimmerte dann auf der Leinwand ein Bericht über den Besuch der Partei und Staatsführung bei den Erbauern des Sozialismus in einem Volkseigenen Kombinat oder einer Großbaustelle des Friedens, war das immer eine Belustigung der besonderen Art. Wenn der bei den Ost-Berliner Teenagern äußerst beliebte Staatsratsvorsitzende Genosse Walter Ulbricht dabei zu sehen war, gab es aus der Gruppe der Jugendlichen heraus immer spontanen Applaus und Hochrufe. Das wurde vom Kinopersonal aber als Majestätsbeleidigung aufgefasst und mit dem Abbruch des „Augenzeugen“ gedroht. Ich kann mich erinnern, dass einige Vorstellungen des „Augenzeugen“, als sich diese Störungen wiederholten, nur noch unter Anwesenheit von zwei Volkspolizisten, der eine sogar mit einem Schäferhund, abliefen, die mit Beginn des Hauptfilmes allerdings den Kinosaal verließen.

Zwei Streifen aus dem Westen im Ostkino

Zu dieser Zeit kamen erstaunlicherweise, es war fast eine kleine Sensation, zwei Streifen aus dem Westen in die Ostkinos, die uns sehr beeindruckten. Der eine Film, „Junge Dornen“ (GB 1967), mit Sidney Poitier und der englischen Sängerin Lulu in den Hauptrollen, war schon etwas Besonderes, aber der andere Streifen, „Privileg“, mit Paul Jones, dem ehemaligen Leadsänger der allseits bekannten Gruppe Manfred Mann als Titelhelden, war fast eine kleine Sensation. Alle 593 Plätze im Capitol waren in der Abendvorstellung ausverkauft, als dieser Film am 28.3.1969 im Kino kam. Waren doch hier leibhaftige Langhaarige zu sehen und man konnte richtig guten Beat hören. Die Handlung des Films, in den siebziger Jahren in naher Zukunft in GB angesiedelt, zeigte einen Popstar (Paul Jones), der von den Herrschenden benutzt wurde, um die Jugend des Landes im Sinne des Establishments zu manipulieren.

Zur Person

Lutz Baumann wird im Juni 1953 in Ost-Berlin geboren. Er besucht die 10-klassige polytechnische Oberschule, ist Mitglied bei den Jungpionieren und der Freien Deutschen Jugend. 1970 macht er eine Lehre als Bautischler, bevor er zwei Jahre später seinen Wehrdienst bei den Luftstreitkräften der Nationalen Volksarmee ableistet. Von 1974 an arbeitet er als Bauarbeiter im Volkseigenen Betrieb „Bau- und Montagekombinat Ingenieurhochbau Berlin“ (VEB BMK IHB) und dann als Hausmeister in einer Musikhochschule. Im September 1988 siedelt er – mit einem genehmigten Ausreiseantrag – in den Westen Berlins über und ist beim Deutschen Roten Kreuz tätig. Seit 2004 unterstützt er das Jugendwiderstandsmuseum in der Galiläakirche in Berlin Friedrichshain.

Empfohlene Zitierweise:
Baumann, Lutz: Kino Capitol, in: LeMO-Zeitzeugen, Lebendiges Museum Online, Stiftung Haus der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland,
URL: http://www.hdg.de/lemo/zeitzeugen/lutz-baumann-kino-capitol.html
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