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Manfred Bresler: Flucht aus Thüringen

Dieser Beitrag wurde von Manfred Bresler (*1932) aus Frankfurt im Jahr 2000 verfasst.

In Büßleben bei Erfurt habe ich meine Schule beendet, mehrere Lehren begonnen und wieder abgebrochen. Schließlich wurde ich als Landesbester beim Lehrabschluß im Schmiedehandwerk zur Ingenieurschule nach Ilmenau "delegiert", doch dort war ich politisch nicht einwandfrei. Ich war kein FDJ-Mitglied, nicht in der Gesellschaft für DSF [Deutsch-Sowjetische Freundschaft], nichtmal in der Deutsch-Polnischen Freundschaft.

In Ilmenau im Übernachtungszimmer konnte man viel besser als in Erfurt den RIAS hören, naja, da war ich wohl wirklich nicht politisch einwandfrei. Ich arbeitete in einer kleinen Maschinenbude, in den Baracken, in denen wir ein Jahr zuvor in Erfurt ausgeladen wurden. Bald war der kleine Betrieb geschluckt von dem SAG-Betrieb Energie- und Kraftmaschinenbau, Erfurt-Nord.

“Meine Familie war bald wieder komplett“

Meine Familie war bald wieder komplett, Vater war aus russischer Gefangenschaft gekommen, aber einen Anreiz hat mir nichts gegeben, kein sozialistischer Wettbewerb, keine Prämie, nur der Sport. Ich hatte gute Arbeitskollegen, die mir mehr erzählten, als mein Vater das tat. Einer war in englischer Gefangenschaft, wenn er erzählte, hing ich an seinen Lippen, um ja nichts zu verpassen. Auch Fragen wich er nicht aus, egal welchen Quatsch ich mir ausdachte.

Eines Tages sprach er davon, daß er ein Rennrad im Keller hätte, allerdings fehlten die Räder. Ich bekam es, ich besorgte aus dem Westen Räder aus Aluminium, Großvater aus dem Weserbergland schickte mir Reifen und Beleuchtung. Ich jubelte, ich wurde Mitglied bei Motor Erfurt, ich wurde mitgenommen zu Rennen, ich fuhr selbst Rennen, schwitzte über den Thüringer Wald, kam nach Leipzig und Berlin, entdeckte, daß man dort auf der Straße einfach so in den ”Westen" kann, wer wird schon einen Radfahrer kontrollieren. Es war eine schöne Zeit, alle Verwandten habe ich per Fahrrad besucht, immer gab's was zu futtern und zu fuggern!

Flucht

Und dann war wieder ganz plötzlich alles vorbei. Die Flucht aus der SBZ war nicht mehr aufzuhalten. Es fing ganz harmlos an im Betrieb: Proteste gegen Normenerhöhung, Einladung zur Ausbildung als Refa-Mann. Nach der Ablehnung dazu wurde man deutlicher: Da wäre ein FDJ-Kollektiv in Aue zu beschicken, freiwillig natürlich, ich wäre ja Facharbeiter, brauchte bestimmt nicht unter die Erde, allerdings, falls ich mich weigere, gäbe es nur die Delegierung zum Schiffsbau nach Warnemünde - naja, ich unterschrieb also nach Aue in den Erzbergbau, ging heim, packte meinen Rucksack, sagte den Eltern ade und fuhr aus Sicherheitsgründen mit dem Rennrad nach Berlin! Den Großeltern konnte ich in Stücken bei Beelitz noch Lebewohl sagen, die Tante Lotte brachte mich auf einen Schleichweg nach Potsdam, ich fand die Glienecker Brücke, fuhr mit dem nach ”Westen" aussehenden Rad an die Schranke, hob es auf die andere Seite und fuhr davon. Zum Glück hat mich der Posten nicht angesprochen, mein "Diringer Dialekt" hätte mich nicht weiterfahren lassen!!

Die Polizei in Wannsee staunte nicht schlecht, als ich mich bei ihnen meldete, haarklein mußte ich ihnen erzählen, wie meine Frechheit siegte. Auf ihre Frage, was ich nun zu machen gedenke, bot ich ihnen an, die Avus entlang nach Spandau zur anderen Verwandtschaft zu fahren und über das Notaufnahmeverfahren in ein Lager zu gehen. So geschah es dann auch, bei der Notaufnahme in Charlottenburg mußte ich erst lernen, daß ich wieder Jugendlicher war, aber bald wurde ich ausgeflogen, kam durch mehrere Lager bis nach Kaiserslautern, wo ich den Fußballersieg von Bern mit der ganzen Stadt feiern durfte. Es wäre mir nur lieb, wenn alle, die das damals wollten, so gut aus der SBZ herausgekommen wären.

Zur Person

Manfred Bresler wird am 13. Februar 1932 in Breslau, im heutigen Polen, geboren. Er besucht bis Dezember 1944 Volksschule und Mittelschule, bevor er zu Verwandten in ländlicheres Gebiet (Kreis Oels) geschickt wird. Am 20. Januar 1945 flüchtet er von dort mit einem Treck vor der näher rückenden Roten Armee. Er gelangt in (heute) tschechisches Gebiet, wo er im Dorf Zwolln (heute: Stvolny) untergebracht wird. Zum Sommerende 1945 wird er aus der CSSR ausgewiesen, fährt nach Dresden und dann nach Erfurt. Mit anderen Flüchtlingen wird er auf die umliegenden Dörfer verteilt und kommt nach Büßleben. Dort macht er seinen Schulabschluss. Bresler findet seine Mutter wieder und wird Schmied. Er arbeitet als Facharbeiter in Erfurt-Nord im Maschinenbau. Sein Vater kehrt zwischenzeitlich aus russischer Kriegsgefangenschaft zurück. Weil Bresler seinem Beruf nicht selbstbestimmt nachgehen kann, flüchtet er aus der Sowjetischen Besatzungszone nach Westberlin. Er lebt dort im Flüchtlingslager und arbeitet als Fahrradkurier, bevor er verschiedene Aufnahmelager in Westdeutschland durchläuft und schließlich in Kaiserslautern bleiben kann. Dort macht er einen zweiten Gesellenbrief, da seiner in Westdeutschland nicht anerkannt wird. Bresler arbeitet daraufhin in der Nähmaschinen-Fabrik Pfaff. Er heiratet und engagiert sich bei den Jungsozialisten. 1959 besucht er Israel und bleibt dort für zwei Jahre mit seiner Frau. Wieder zurück in Deutschland bekommt das Ehepaar eine Tochter. Bresler arbeitet als Schlosser in den Eisenwerken in Kaiserslautern und dann als Beamter im hessischen Strafvollzug. Heute lebt er als Pensionär in Frankfurt.

Empfohlene Zitierweise:
Bresler, Manfred: Flucht aus Thüringen, in: LeMO-Zeitzeugen, Lebendiges Museum Online, Stiftung Haus der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland,
URL:www.hdg.de/lemo/zeitzeugen/manfred-bresler-flucht.html
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