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Manfred Bresler: Kriegsende und zerstörtes Dresden

Dieser Beitrag wurde von Manfred Bresler (*1932) aus Frankfurt im Jahr 2000 verfasst.

Russische Soldaten in Rabenstein

In Rabenstein (heute: Rabstejn, Tschechien) waren im Schloß russische Wlassow-Soldaten stationiert, sie besetzten plötzlich den Friedhof in Zwolln, postierten ein Maschinengewehr in einer Ecke und sagten lauter als es viele hören wollten: "Auf unsere Landsleute schießen wir nicht!!" Zwei Tage später war diese Episode vorbei, oft rauschten nachts Fahrzeugkolonnen durchs Dorf, am Tage ging gar nichts, wie die Hornissen kurvten die Tiefflieger umher und plötzlich war es auch am Tage totenstill.

Da kein Strom da war, dauerte es, bis es sich herumgesprochen hatte: Hitler hat Selbstmord begangen, Dönitz kämpft weiter! In Zwolln wurden vom Putz der Häuser die Hakenkreuze abgeschlagen!! Vor Luditz (damals Kreisstadt) soll die SS noch ein paar Hitlerjungen aufgehängt haben, die nicht mehr mit der Panzerfaust spielen wollten.

Und in Zwolln war es nur ruhig, tagelang! Doch eines Tages kommt ein komisches Brummen aus der Richtung Clum. Plötzlich rollt ins Dorf ein ganz komischer Panzer: Vorn wie ein Auto, hinten Ketten, oben gucken die Wespenhelme raus, man fragt uns was auf tschechisch, erst jetzt merke ich, daß meine Spielkameraden antworten können, man sucht die Russen, nein, keine gesehen - noch nicht!! Kaum war dieses komische Gefährt wieder in Richtung Clum verschwunden, als aus Richtung Rabenstein in höllischem Galopp ein Pferdefuhrwerk angerast kam: Die ersten Rotarmisten! Auch sie wollten was wissen, wieder ohne Verständnis für mich, aber aus der Frage konnte ich erkennen, man suchte die "Amerikankis". Als sich dieses Spielchen ein paar Tage wiederholt hatte, war uns klar: Wir waren im Niemandsland zwischen dem weißen und dem roten Stern!

Schokolade und Zigaretten

Bald verloren wir die Scheu, ich erinnerte mich daran, einmal Englisch gelernt zu haben, frug frech nach chocolade and cigarettes und staunte nicht schlecht, als aus dem Gefährt Kaugummi und Schokolade geflogen kam, so gute Schokolade habe ich bis heute nicht wieder gefunden!! Kaum hatte man sich an solche Dinge gewöhnt, war es schon wieder vorbei. Die Amis zogen sich aus vielen Gebieten zurück, handelten sich dafür Berlin ein und ich hatte lange Zeit keine Schokolade mehr!

Die Rote Armee strömte nach, nach Zwolln kamen Soldaten, die aus deutscher Kriegsgefangenschaft befreit worden waren, was man den Menschen wieder angetan hat, war auch unbeschreiblich: Tag und Nacht wurde marschiert und gedrillt, aber einen Sowjetstern durften sie nicht tragen. Aus einer alten Zigarettenschachtel aus Blech mit roten Stücken drin bastelten sich die Soldaten einen Stern, hefteten ihn irgendwie an das Käppi. Viele sprachen gut Deutsch und frugen mich nach Vater und Mutter, als ich ihnen keine erschöpfende Auskunft geben konnte, merkte ich, daß ich ihnen leid tat. Zu der Zeit hatte ich immer satt zu essen!!

Tischtücher aus Nazifahnen

Eine Episode war für die damalige Zeit typisch: Man hatte die Nazifahnen aus den Häusern geholt und da wir den Soldaten irgendwie vertrauenswürdiger erschienen als die einheimische Bevölkerung, durften wir das Hakenkreuz von der Fahne entfernen, die Russen hatten herrliche rote Tischtücher und wir konnten den Rest für Geschirrtücher, Lappen usw. gut gebrauchen.

Die tiefere Symbolik dieses Geschehens ist mir allerdings erst später aufgegangen: So viel hatte sich gar nicht geändert, nur das Emblem war entfernt worden und bei der Wende 1989 durfte ich das wieder erleben!!

Unsere Tage in Zwolln waren gezählt, Pferde, die wir uns von einer durch Tiefflieger versprengten Einheit der Wehrmacht "besorgt" hatten, waren wieder futsch, der Weg "nach Hause" damit wohl auch. Mit Handgepäck sollten wir "Ortsfremden" ausreisen, einige verstanden nicht, was Handgepäck ist, andere duften nicht ausreisen, Anarchie total, trotzdem war das Handgepäck nach ca. 200 Metern auf den Pferdewagen verladen und wir wurden in offene Kohlewaggons verladen und zur Grenze gebracht.

Nach nochmaliger Kontrolle an der Grenze konnten wir dann richtige Personenwagen besteigen und es ging weiter durch das Elbsandsteingebirge in Richtung zerstörtes Dresden.

In Dresden

Dort kamen wir im Dunkeln an, in irgendwelchen Gewölben sollten wir übernachten, alles war schwarz und so komisch dreckig und ein ganz eigenartiger Geruch lag in der Luft - heute weiß ich, was ich da in der Nase hatte!!

Bei Tagesanbruch trauten wir uns aus dem Gewölbe und sahen nur eine große ebene Fläche. Vor dem Bahnhof waren Feldgleise für Loren gelegt und etwas weiter schaufelten Leute im Schutt. Erst jetzt erkannten wir, daß die große ebene Fläche eine riesige Schuttfläche war und das Niveau der Straße viel tiefer lag. Dort schaufelte man und plötzlich kam im Schutt irgendwas zum Vorschein, die Arbeiter liefen zusammen, halfen sich gegenseitig und zogen etwas heraus, daß mir wie ein totes Kind vorkam. Die Erwachsenen erklärten mir, daß Menschen, die im Phosphor verbrennen, so schrumpfen.

Da hatte man also einen Toten entdeckt, doch was geschah, er wurde auf eine volle Lore gelegt, der Lore einen Schubs gegeben und damit war der Fall erledigt.

Im Lager

Wir kamen an diesem Tag in ein Lager außerhalb oder am Stadtrand von Dresden. Es waren Tausende schon dort, mir fielen zwei Menschenschlangen auf. Eine wartete auf das Essen dieses Tages, die andere stand schon für den nächsten Tag an. Ein Glück, daß wir etwas zu essen von den Tschechen mitbekommen hatten, das wären schlimme Wochen in Dresden geworden!! Meine Verwandtschaft hatte noch andere Verwandtschaft in Dresden, die wollten wir besuchen, um zu zeigen, daß wir überlebt haben und um anderen bekannt zu geben, in welche Richtung wir wohl weiterziehen würden. Auf dem Weg zu dieser Verwandten konnten wir die Straßenbahn nehmen. Wir staunten nicht schlecht, daß wir bald eine halbe Stunde fuhren, ohne an einer Haltestelle anzuhalten.

Auf einem Platz wechselten wir die Bahn und da ging es ebenso weiter, nach jeder Biegung glaubten wir, da stehen wieder "richtige" Häuser und wenn man näher kam, konnte man auch hier durch die Fensterhöhlen in den Himmel schauen. So hat man mir noch einmal nach Kriegsende vorgeführt, was es heißt "Totalen Krieg" zu führen. Nach etwa einer Stunde kamen wir bei der Verwandtschaft der Verwandtschaft an. Dieser Besuch hat ein Jahr später meine Mutter auf meine Fährte gebracht, wir aber waren froh, daß wir bald Dresden verlassen konnten in Richtung Erfurt.

Zur Person

Manfred Bresler wird am 13. Februar 1932 in Breslau, im heutigen Polen, geboren. Er besucht bis Dezember 1944 Volksschule und Mittelschule, bevor er zu Verwandten in ländlicheres Gebiet (Kreis Oels) geschickt wird. Am 20. Januar 1945 flüchtet er von dort mit einem Treck vor der näher rückenden Roten Armee. Er gelangt in (heute) tschechisches Gebiet, wo er im Dorf Zwolln (heute: Stvolny) untergebracht wird. Zum Sommerende 1945 wird er aus der CSSR ausgewiesen, fährt nach Dresden und dann nach Erfurt. Mit anderen Flüchtlingen wird er auf die umliegenden Dörfer verteilt und kommt nach Büßleben. Dort macht er seinen Schulabschluss. Bresler findet seine Mutter wieder und wird Schmied. Er arbeitet als Facharbeiter in Erfurt-Nord im Maschinenbau. Sein Vater kehrt zwischenzeitlich aus russischer Kriegsgefangenschaft zurück. Weil Bresler seinem Beruf nicht selbstbestimmt nachgehen kann, flüchtet er aus der Sowjetischen Besatzungszone nach Westberlin. Er lebt dort im Flüchtlingslager und arbeitet als Fahrradkurier, bevor er verschiedene Aufnahmelager in Westdeutschland durchläuft und schließlich in Kaiserslautern bleiben kann. Dort macht er einen zweiten Gesellenbrief, da seiner in Westdeutschland nicht anerkannt wird. Bresler arbeitet daraufhin in der Nähmaschinen-Fabrik Pfaff. Er heiratet und engagiert sich bei den Jungsozialisten. 1959 besucht er Israel und bleibt dort für zwei Jahre mit seiner Frau. Wieder zurück in Deutschland bekommt das Ehepaar eine Tochter. Bresler arbeitet als Schlosser in den Eisenwerken in Kaiserslautern und dann als Beamter im hessischen Strafvollzug. Heute lebt er als Pensionär in Frankfurt.

Empfohlene Zitierweise:
Bresler, Manfred : Kriegsende und zerstörtes Dresden, in: LeMO-Zeitzeugen, Lebendiges Museum Online, Stiftung Haus der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland,
URL: www.hdg.de/lemo/zeitzeugen/manfred-bresler-kriegsende.html
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