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Willi Witte: SS-Kriegsgefangenenlager Plattlingen

Dieser Beitrag wurde von Willi Witte (*1928) aus Westerland/Sylt im Jahr 2001 verfasst.

Großes SS-Sammellager

Alle von der SS kamen zuerst mal in ein grosses Sammellager (ca. 10 000 Mann) auf eine grosse Wiese. Nichts zum Essen und keine Decken. Nachts war es hundekalt. Unsere Toilette war ein langer Graben mit einem Baumstamm darüber zum Sitzen. Das war eher immer ein Balanceakt, denn man konnte sich ja nirgendwo festhalten. Wir waren auch grösstenteils sehr geschwächt. Das Einzige, was wir hatten, waren Läuse. Da sass ich dann am Tag, wie andere auch, wenn die Sonne schien, und knackte Läuse. Mittlerweile wurden Gruppen eingeteilt mit Kurieren. Denn es sollte Verpflegung geben. Es gab, kaum zu glauben, für 100 Mann eine Dose Rindfleisch und für 50 Mann ein Brot. Da halfen mir meine Zigaretten viel, denn ich konnte hier und da mal ein kleines Stück Brot eintauschen.

Die Einwohner des nahegelegenen Ortes (leider den Namen vergessen) warfen auch schon mal Brot zu uns herüber. Das war für uns mehr als ein Geschenk des Himmels. Dieses Brot wurde auch nach strengen Regeln verteilt. Es wurden auch fast die Krümel gezählt. Wie viele gestorben sind, weiss ich nicht. Mancher musste auch aus unserem Latrinengraben geholt werden. Es muss ja für den Ami wohl schwer gewesen sein, plötzlich so viele Gefangene zu versorgen. Aber da alle von der SS waren, hat er sich wohl mit der Versorgung nicht überschlagen.

Dieses Lager hat mehrere Wochen gedauert. Einmal kam ein Amerikaner und suchte über 1000 Freiwillige, die einen Stechschritt marschieren konnten. Der Ami wollte mal gerne so etwas filmen. Für die Beteiligten sollte es Sonderverpflegung und Zigaretten geben. Er bekam seine Freiwilligen und konnte filmen.

Ein deutscher höherer Offizier wollte mir mal befehlen, vor einer amerikanischen Baracke zu harken. Ich war aber einfach zu matt und verweigerte dieses. Da bekam ich eine kraftige Ohrfeige von diesem Offizier. Da standen dann viele Mitgefangene auf und nahmen eine drohende Haltung diesem Mann gegenüber ein. Gott sei Dank lief alles ruhig ab, denn der Ami hätte glatt mit seinem MG dazwischen gefunkt.

Verlegung in das Lager nach Plattlingen

Nach gut zehn Wochen kamen wir in mehrere, verschiedene andere Lager. Ich kam auf einen ehemaligen Flugplatz. Da wurde von uns dann ein einem ehemaligen Hangar auf halber Höhe der Halle ein Fussboden eingezogen. Da wurden wir dann untergebracht. Läuse waren durch Entlausung auch weg. Die Verpflegung wurde auch etwas besser. Leider habe ich auch den Namen des Flugplatzes vergessen. Wir haben auch da noch auf dem Fussboden schlafen müssen. Wir, die auf dem Zwischendeck schliefen, hatten es nachts ein bisschen wärmer. Wir wurden dann nach kurzer Zeit nochmals auf andere Lager verteilt. Ich kam nach Plattlingen. Zuerst in Zelte von unseren eigenen Planen, die wir noch hatten. Eine Dreiecksplane gehörte mal zu unserer alten Ausrüstung. Wenn sich vier zusammentaten, ergab es ein Zelt für vier Personen - war aber sehr eng. Aber wir hatten wenigstens ein Dach über den Kopf. Bei Regen war es schon schlechter, denn die Planen hielten ja nicht dicht. Die Verpflegung war auch sehr knapp bemessen. Butter war so gross wie ein Zuckerwürfel (pro Tag ). Jeden Tag wurde zur Arbeit marschiert, vorne weg die Offiziere. Die hatten es am besten, denn da konnte man die Kippen der weggeworfenen Zigaretten der Amis einsammeln. Bald kam auch eine Beschwerde der anderen Soldaten an den Kommandanten des Lagers, man möchte auch mal andere vorne marschieren lassen. Dies wurde aber nicht geändert.

Neben mir stand beim Antreten oft ein Österreicher. Der hatte eine Sicherheitsnadel, mit der spiesste er die gefundenen Kippen auf und konnte diese so fast bis auf zwei Millimeter zu Ende rauchen. Dieser Österreicher sammelte auch in den Mülleimern der amerikanischen Küche leere Lebensmitteldosen und kochte diese mit Wasser aus zu einer fürchterlichen Brühe. Aber der Magen hatte wenigstens etwas zu tun.

Wir bauten hier ein riesiges Barakkenlager mit zwei- und dreistöckigen Betten auf. Später zogen wir da selbst rein. Es waren immer grosse Blocks für rund 1000 Mann. Zehn solcher Blocks wurden gebaut. Jeder Block hoch mit Stacheldraht eingezäumt. Diese Blocks hatten eine Grösse von 100 x 100 Meter. Ich arbeitete meistens beim Fussbodenverlegen. Wir legten Holzfussboden. Das war auch nicht so anstrengend. Auch stand der Posten nicht immer daneben.

Betten zusammenbauen

Ich habe auch mal mit dem Österreicher beim Betten zusammenbauen gearbeitet. Das war ein harter Job. Denn wenn so ein Bett fertig war, musste es im Dauerlauf mit 4 Mann zu einer Sammelstelle getragen werden. Wenn der Posten nicht guckte, sagte ich immer: "Lauf doch mal ein bisschen langsamer!" Aber mein Österreicher hatte immer die Hosen voll und trieb uns mit an. Der Ami schoss schon mal, wenn es zu langsam ging, eine Salve über uns weg. Die Bewacher des Bettenkommandos waren meist jüdischer Herkunft. Es war ein ganzer Teil der Bewacher dabei, die Angehörige im KZ verloren hatten. Meistens aus Polen, Deutschland oder Frankreich. Das bekam man aber erst nach und nach zu wissen. Richtige Vorstellungen von einem KZ hatte ich sowieso nicht.

Die ersten Bilder des Greuels bekam ich bei diesem Bettenkommando zu sehen. Ich wurde da von zwei Bewachern gerufen die auf so einem zweistöckigen Bett sassen. Als ich vor ihnen stand, zeigte mir der eine neue Illustrierte, die voll von grausamen Bildern aus einem befreiten KZ war. Seine Eltern waren auch in Polen umgekommen. Wohl war mir nicht dabei.

Der andere Ami neben ihm verhielt sich sehr zurückhaltend. Dann holte mit einem Mal der wütende Ami mit dem Fuss aus und wollte mir mit seinem grossen Stiefeln ins Gesicht treten. Dieses hat der andere Ami in letzter Sekunde verhindert. Ob ich da wohl froh war?

Zigaretten aus dem Mund schießen

Mit meinen 16 Jahren sah ich wohl mehr wie ein Kind als ein Mann aus. Ich wurde dann auch gleich wieder zum Arbeiten geschickt. Wie leichtsinnig man mitunter war, zeigt ein anderes Beispiel. Da hatten wir einmal einen Bewacher, der schoss gern auf Dosen und ähnliches. Von dem wurde ich mal gefragt, ob er mir eine Zigarette aus dem Mund schiessen durfte. Ich willigte in meinem jugendlichen Leichtsinn ein. Er schoss und es ging alles gut. Ich glaube, ich bekam ausser Zigaretten auch Schokolade von ihm. So etwas macht man nur einmal. Später suchte der Ami für seine Kolonne die Leute, die er haben wollte, selber aus.

Ich wurde immer von einem geholt, der den Kraftfahrzeugpark des Bataillones unter sich hatte. Ich wurde von ihm "Sneip" genannt. Morgens wenn er kam und seine Leute holte, sagte er ständig zu mir: "Snipe (Sneip), come on". Ich konnte ja nicht viel englisch. Bei unserer Unterhaltung pfuschte immer ein anderer Gefangener dazwischen und wollte übersetzen. Später erzählte mir der Ami, dass er keine Kinder habe und in Amerika eine grosse Autowerkstatt mit Tankstelle besässe. Ob ich nicht mit ihm nach Amerika kommen wollte. Ich wollte aber endlich mal wieder nach Hause und so wurde aus diesem einmaligen Angebot dann nichts. War vielleicht ein Fehler, wer weiss??

Mittlerweile wurde unser Barackenlager auch bezugsfertig. Das Lager hatte eine breite Strasse in der Mitte. Links und rechts der Strasse waren jeweils fünf Lager zu jeweils 1000 Mann. Das ganze war rund 500 bis 800 Meter lang. Jedes Lager hatte zur Strasse einen eigenen Eingang. Die Strasse war nur zu einer Seite offen und durch ein grosses Haupttor gesichert. Tor und Aussenzaun waren natürlich streng bewacht. Im ersten Lager rechts vom Haupteingang war die deutsche Lagerleitung drin. Ich bekam durch grosses Glück einen Job als so eine Art Bote bei der Lagerleitung. Ich brachte Order und Mitteilungen der Lagerleitung in die verschiedenen anderen Lager. Diese wurden auch erst nach und nach mit Gefangenen aus allen Ecken der amerikanischen Zone gefüllt. Es war auch ein Lager mit Russen da.

10.000 Mann im Lager

Das gesamte Lager, rund 10 000 Mann, waren alles ehemalige SS-Angehörige. Es mögen auch noch andere Nationalitäten da gewesen sein. Ich habe hauptsächlich noch die Russen in meiner Erinnerung. Der Lagerleiter im Rang von einem Oberstleutnant hiess Cäsar (oder Zäsar). Sein Stellvertreter Oberstleutnant Neumann, ein Fahnenjunker, und ich teilten uns einen grösseren Schlafraum. Jeder hatte sein Zwei-Etagenbett. Abgeteilt hatten wir unsere Ecken mit Wolldecken. Wir hatten es uns so richtig gemütlich zurecht gemacht. Ich war natürlich für die Sauberkeit zuständig. Unsere Betten haben wir selber gemacht. Der Lagerleiter Cäsar war ein ehemaliger Rittergutsbesitzer. Im Lager erfreute er sich grosser Beliebtheit.

Sein Vertreter, Neumann, war dagegen ein aalglatter Typ. Von mir wollte er immer einiges in Erfahrung bringen über Cäsar und sein Tun und Lassen wissen. Da musste ich immer sehr vorsichtig sein. Er äusserte sich immer gegenüber dem Fahnenjunker (Namen leider vergessen), dass er eigentlich Kommunist sei. Der Lagerleiter und Vertreter waren schon über 50 Jahre alt. Der Fahnenjunker war ungefähr 24 Jahre alt. Er war Journalist und wollte, wenn er wieder Zuhause war, wieder seinen Beruf ausüben.

Das Zimmer nebenan von uns war auch von einem äusserst interessanten Mann belegt. Der war Leutnant oder Oberleutnant. Seine Funktion in der Lagerleitung war es hauptsächlich, zu dolmetschen. Hier tut es mir besonders leid, dass ich den Namen vergessen habe. Das war so ein richtiger Abenteuertyp und Frauenheld noch dazu, wie sich später herausstellte. Ihm waren an beiden Füssen alle Zehen abgefroren. Wie er mir erzählte, war er früher mal Rollschuhkunstläufer gewesen. Er hatte sich mit einem amerikanischen Offizier angefreundet. Die beiden hatten sich etwas Unglaubliches erlaubt. Das Lager existierte ja schon einige Zeit. Verpflegung, Unterkunft, alles war mittlerweile mehr als sehr gut geworden. Zigaretten gab es auch. Zigaretten wurden unsere Hauptwährung. Durch die Marketender-Zigaretten sank natürlich der Tauschwert dieser Währung.

Die Abenteuer der Offiziere

Nun zu den beiden Offizieren und ihren unglaublichen Abenteuern. Anders kann man das wohl nicht nennen. Da kam eines Abends der amerikanische Offizier, wie sonst auch, mit dem Jeep angefahren und besuchte den SS-Offizier. Nur diesmal sassen bei der Wegfahrt zwei Offiziere in amerikanischen Uniformen im Jeep. Da hatte der Ami tatsächlich für seinen deutschen Freund eine amerikanische Offiziersuniform mitgebracht. So sind sie dann auch nach München gefahren und haben Mädchen aufgerissen.

Ich konnte kaum glauben was ich da gesehen hatte. Das haben die beiden mehrere Male gemacht. Dieser gefährliche Leichtsinn ist glücklicherweise nie entdeckt worden. Auch von deutscher Seite nicht. Für den Ami hätte das wohl den Ausschluss aus der Armee bedeutet oder mehr, wenn man die beiden erwischt hätte. Der Ami war sowieso nicht zimperlich bei der Bestrafung.

Durch meine Arbeit als Bote und Überbringer hatte ich sehr viele Freunde und Bekannte im Lager, aber auch misstrauische Neider. Ich konnte ja mit meinem Ausweis in jedes Lager gehen und Besuche machen. Das war sonst für die anderen streng verboten. Aber immer aus der Lagerleitung zu verschwinden, war auch für mich nicht zu jeder Zeit möglich.

Kriegsverletzte

In einem Lager, wo ich öfters mal war, gab es etwas besonderes Trauriges zu sehen. Da waren drei junge Soldaten, nicht viel älter als ich, die schwer kriegsverletzt waren. So etwas habe ich auch später nie wieder gesehen. Bei zwei von den dreien waren beide Arme und Beine weg. Nur noch der Rumpf und der Kopf waren da. Diese beiden waren trotz ihres Schicksals voll unglaublicher Dinge und Witz. Die beiden waren auch von ihren Kameraden aufopfernd und rührend umsorgt. Die Kameraden hatten auch alle möglichen Hilfsmittel zur Lebenserleichterung für die beiden gebaut. Der Ami nahm sogar regen Anteil an diesen vom Schicksal so hart gebeutelten jungen Menschen.

Wenn diese beiden nicht so enorm gut versorgt gewesen wären, hätte der Ami diese Menschen in ein Krankenhaus gebracht. Wie lange ein Mensch so leben kann, weiss ich nicht. Der Dritte hatte es etwas leichter, weil er noch seine beiden Arme hatte. Für den hatten seine Kameraden so ein Brett mit Rädern gebaut. Damit konnte er sich wenigstens in der Baracke bewegen.

"Dorfgemeinschaft" bei den Russen

Bei den Russen war ich auch immer gerne. Bei denen war es wie in einer richtigen Dorfgemeinschaft. Die hatten sogar einen Pastor da. Der Pastor lebte in dem Lager sogar mit seiner Frau zusammen. Dieses Ehepaar hatte mit einigen anderen auch mal ein Theaterstück einstudiert. Es konnte mit der Erlaubnis der Amis aufgeführt werden. Wir von der Lagerleitung waren bei der Uraufführung dabei. Es mögen 500 Zuschauer dabei gewesen sein. Es war natürlich nur eine bestimmte Anzahl auf einmal erlaubt. Es gab viel Beifall. Aber dann, zum Schluss des Stückes, sang die Frau des Pastors (einzige Frau im Lager) : "…Heimat deine Sterne…". Da flossen Tränen.

Aber als die schöne Russin mit dem Lied zu Ende war, folgte ein Beifall, Geschrei und Getobe, dass der Russin wohl der Angstschweiss ausbrach. Das hörte sich auch beängstigend an.

Das hatte sogar den Ami auf die Beine gebracht. Der kam mit einem Wagen voller Soldaten an, um den vermeintlichen Aufstand niederzuschlagen. Aber er brauchte mit seinen durchgeladenen MPs nicht einzugreifen, als er hörte, was die Ursache war. Das war so ein Erlebnis, was man nicht vergisst !

Bewachung

Das Lager selbst war noch streng bewacht. Bei den Arbeitskommandos war die Bewachung nicht mehr ganz so streng. Es haute aber auch keiner ab, denn erstmal wollten alle ordnungsgemäß mit Papieren entlassen werden, sonst bekamen sie draussen keine Lebensmittelkarten usw. und die vielen anderen Soldaten, die aus den ehemaligen Ostgebieten kamen, wehrten sich halbwegs gegen eine Entlassung, da sie ja kein Zuhause mehr hatten. Das war natürlich ein besonders hartes Schicksal für diese Menschen.

Ich glaube, wenn der Ami mal für ein paar Tage seine Bewachung aufgegeben hätte, wäre keiner getürmt. Denn wir hatten es mittlerweile im Lager besser, als die meisten Menschen ausserhalb des Lagers. Ganz zu schweigen von den Flüchtlingen, die im Lager lebten.

Frauen in das Lager geschmuggelt

Es gibt, wie überall, immer wieder Menschen, die ihre relativ gute Lage übel ausnutzten. So auch dieses fast unglaubliche Erlebnis. Es war mitten in der Nacht, als uns der Ami schwer bewaffnet aus den Betten jagte. Da war folgendes passiert: Die Arbeitskolonnen gingen morgens immer in 10er-Reihen zum Zählen durch das Haupttor zur Arbeit oder zum LKW, wenn weiter entfernt gearbeitet wurde. Dabei hatten es einige bei ihren Jobs fertig gebracht, mehrere Frauen kennen zu lernen. Diesen Frauen, fünf bis zehn, haben sie dann Lageruniformen angezogen und die gleiche Anzahl Landser draussen gelassen. Die Frauen wurden in diesen Zehnerreihen mit untergebracht und so durch das Haupttor mit eingeschleust. Der Ami hatte nichts bemerkt. Am nächsten Morgen sollte dann alles wieder getauscht werden. Ob da Frauen bei waren, die zu ihren Männern wollten, kann ich nicht mehr sagen. Jedenfalls hat dieses wohl irgend jemand den Ami wissen lassen.

Der Ami ist dann in die betreffenden Unterkünfte gestürmt und hat die Frauen, so wie sie waren, aus den Betten geholt. Am Ende der Strasse hat er dann einen Stacheldrahtverhau gespannt. Dahinter mussten alle Frauen, nackt oder mit Hemd bekleidet, verschwinden. Dazu war es auch noch lausig kalt. Was mit den Männern geschah, weiss ich nicht mehr. Das allerschlimmste für die Frauen war, dass am nächsten Morgen alle Männer des gesamten Lagers da vorbei marschieren mussten.

Ich erinnere mich, dass die meisten von den draussen gebliebenen Landsern ins Lager zurückgekommen sind (Strafen unbekannt). Der Ami war natürlich stocksauer. Alle Vergünstigungen für das gesamte Lager sollten gestrichen werden. Unsere deutsche Lagerleitung hat große Anstrengungen unternommen, um alles einigermassen human verlaufen zu lassen. Das Ganze war eine "Dummheit hoch drei". Der Ami wurde natürlich strenger bei den Arbeiten ausserhalb des Lagers. Zu allen Lagern muss ich sagen, dass der Ami uns immer verhört hat, um KZ-Bewacher und andere hohe Funktionäre ausfindig zu machen. Aber die meisten hatten sich wohl mit falschen Papieren eingedeckt und waren in der Masse untergetaucht. Ab und zu erwischten sie aber doch einen.

POW-Uniformen

Wir im Lager hatten schon sehr viel ausgediente Uniformen der Amis an. Es musste groß hinten POW auf dem Rücken stehen. Da waren die Gefangenen sehr erfinderisch: Die Buchstaben wurden meistens mit Zahnpasta geschrieben. Wenn der Ami seine Kontrolle beendet hatte, konnte man die Zahnpasta wunderbar wieder auswaschen.

Weihnachten 1945

Weihnachten 1945 war ich noch in Plattlingen. Da gab es natürlich für die meisten Gefangenen das große Heimweh. Es gab viele, die ihre Angehörigen und ihr Zuhause bereits ein bis zwei Jahre schon nicht mehr gesehen hatten. Das Weihnachtsfest selbst war wunderbar gestaltet. In der Lagerleitung war dieses natürlich besonders schön, weil wir nicht so viele Landser waren und uns alle persönlich kannten. Aber ein Weihnachtslied zu singen, fiel wohl alle wegen eines Kloses im Hals schwer.

Um diese Zeit herum war es wohl auch, als wir zum erstenmal nach Hause schreiben durften. Meine Eltern hatten ja seit Weihnachten 1944 nichts mehr von mir gehört. Wir bekamen spezielles Briefpapier vom Ami geliefert. Da konnte man sogar mit Feder und Wasser drauf schreiben. Wo das Papier feucht wurde, wurde es tintenblau. Zensiert wurde unsere Post auch. Aber unsere Angehörigen bekamen endlich Post von uns. An Silvester habe ich keine Erinnerung mehr. Es war natürlich strengstes Alkoholverbot. Aber ich glaube, unser Nachbar in der Baracke nebenan, der mit dem Ami befreundet war, hatte eine Flasche Schnaps gehabt. Dieser Mann war wirklich ein Lebenskünstler. Er konnte einfach aus jeder Situation das Beste machen.

Verlegung nach Dachau 1946

Etwa Mitte Januar 1946 hieß es, wir kämen in ein anderes Lager. Die Parole ging um, dass Flüchtlinge in dieses Lager kommen sollten. Ob was an dem Gerücht dran war, habe ich nie erfahren. Aber ob das Lager ganz aufgelöst wurde, weiss ich nicht mehr. Ein Teil anderer Kameraden und ich fuhren mit großen dreiachsigen LKWs und verrückten Fahrern zum ehemaligen KZ Dachau. Ganz wohl war uns sicher nicht dabei. Aber es wurde nicht so schlimm, wie wohl einige erwartet hatten.

Empfohlene Zitierweise:
Witte, Willi: SS-Kriegsgefangenlager Plattlingen, in: LeMO-Zeitzeugen, Lebendiges Museum Online, Stiftung Haus der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland,
URL: http://www.hdg.de/lemo/zeitzeugen/willi-witte-ss-kriegsgefangenenlager-plattlingen.html
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