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Christel Dux: Jugendweihe und Freie Deutsche Jugend (FDJ)

Dieser Beitrag wurde von Christel Dux (*1948) aus Berlin am 23.2.2000 verfasst.

Jugendweihe und Freie Deutsche Jugend (FDJ)

Alle Schulen waren verpflichtet, möglichst alle Schüler in der Pionierorganisation zu haben. Bis 1960 konnte ich mich davor drücken, dann ging es nicht mehr. Als die "Drängelei" fast zur Nötigung wurde, ließ ich mir einen Antrag geben und von Mutti unterschreiben. Die Eltern mußten ihr Eiverständnis geben. Ich bekam mit anderen, ebenfalls "willigen" Schülern, mein blaues Halstuch und war nun Pionier.

Mittwochs gab es immer keine Hausaufgaben auf, damit wir alle zum Pioniernachmittag gehen konnten. Zu den Pioniernachmittagen ging ich sehr selten, ich hatte eine Freundin, die schöne Bücher unter ihrem Bett hatte, alles Kinderbücher aus dem Westen. Sie las diese Bücher nicht, ich verschlang sie; statt zum Pioniernachmittag zu gehen, las ich die Abenteuer- und Geheimnisbücher von Enid Blyton. Wurde ich mal gefragt, warum ich fehlte, hatte ich immer eine Entschuldigung. Mir fiel immer etwas ein, entweder fühlte ich mich nicht oder bekam gerade, als ich losgehen wollte, Besuch, oder ich machte Mittagsschlaf und verschlief, auch Mutti konnte mal krank werden, sie war ja offiziell Hausfrau und hatte keinen Job. Nach einer gewissen Zeit fragte keiner mehr, schließlich wurde die Pionierleiterin versetzt, und der Pioniernachmittag fiel aus. Als ein neuer kam, blieb er auch nicht lange, da er bald eingezogen wurde, er meldete sich als Zeitsoldat. Wir Pioniere hatten nur blaue Halstücher. Jahre später, als meine Tochter zur Schule ging, gab es nur noch rote Halstücher.

Streng gläubig erzogene Schüler

Es gab aber auch Schüler, die nie Pionier wurden oder in die FDJ eintraten. Sie waren streng gläubig erzogen worden. So hatten wir einen katholischen Schüler, Paul, der immer an Allerheiligen und Fronleichnam fehlte. Wir fragten ihn immer, was er so an diesen Tagen mache, er erzählte uns, daß er zum Beichten in die Kirche ging. Nun wollten wir natürlich auch wissen, was er beichtete. Allzuviel stellte er nicht an, er war ein guter, ruhiger Schüler, also was sollte Paul schon beichten. Es war auch ganz Belangloses, er erzählte, er würde beichten, wenn er heimlich etwas genascht hätte oder eventuell einmal lügen mußte.

Er wurde auch von den Lehrern in Ruhe gelassen. Sein Glaube wurde respektiert. Aber um den Fahnenappell, jeden Montagmorgen vor Beginn des Unterrichts, kam er nicht herum, den mußte er mitmachen.

Zum Fahnenappell sollte möglichst immer Pionierkleidung (dunkler Rock/Hose und weiße Bluse mit dem blauen Pioniertuch) getragen werden. Die FDJler zogen nur ihre FDJ-Hemden an. Manche hielten sie nur in der Hand, und wieder andere legten sich die blauen Hemden während des Appells nur über die Schultern.

Der Direktor, Pionierleiter und Parteisekretär, nahm die Meldung des Pioniergruppenleiters entgegen. "Alle Pioniere und Schüler der Klasse ... sind vollzählig zum Unterricht angetreten." Die Meldung wurde mit Pioniergruß angegeben.

Jugendweihe 1962

1962 stand uns die Jugendweihe bevor. Es gab auch Schüler, die hatten Einsegnung, die meisten hatten aber Jugendweihe. Zuerst hatten wir aber Jugendstunden. Es waren Unternehmungen nach dem Unterricht. Entweder wurde jemand eingeladen, der von seiner Arbeit erzählte, ein Grenzsoldat zum Beispiel, der erzählte von seiner schweren Arbeit und wie er Grenzverletzter stellte. Fehlte nur noch, daß er erzählt hätte, wie er geschossen hat.

Oder es gab Betriebsbesichtigungen, zum Beispiel besichtigten wir den Berliner Rundfunk. Die Besichtigung war jedoch so uninteressant für uns, daß Angela und ich uns verkrümelten. Als letztes sollten wir in einer Gerichtsverhandlung zusehen dürfen. Gespannt, was für einen Fall wir zu sehen und hören bekommen werden, trafen wir uns vor dem Gericht. Erste Enttäuschung: Wir waren die einzigen Zuhörer, angeblich wäre der Fall unter Ausschluß der Öffentlichkeit. Zweite Enttäuschung: der Fall selbst - Diebstahl einer Kupferdrahtrolle.

Betriebsbesichtigungen

Ein Mann wickelte sich Kupferdraht um den Bauch und wurde am Firmentor bei einer Kontrolle erwischt. Angeblich soll ihm schlecht geworden sein, da er den Draht zu fest um seinen Bauch gewickelt hatte. Auf jeden Fall waren Angela und ich wieder einmal so enttäuscht, daß wir bei der nächsten Gelegenheit abgehauen sind. Schon die Fragen, die gestellt wurden, gingen uns auf die Nerven. Das war doch nicht interessant, wir rechneten mit einem Mord, aber nicht mit einem kleinen Diebstahl. Warum der Kollege die Rolle Kupferdraht geklaut hat (wahrscheinlich hat er sie gebraucht!), wer ihn dazu angestiftet hat, ob er schon öfter etwas gestohlen hat und wozu und so ging es weiter bis zu einer Pause, die wir zur Flucht nutzten.

Welche Strafe der gute Mann nun bekam, weiß ich nicht mehr. Wir mußten ja unsere Klassenkameraden danach fragen, aber die Antwort ist mir entfallen.

Generalprobe der Jugendweihe

Als dann der große Tag bevor stand, mußten wir erst noch zur Generalprobe. Dann wurde uns das Gelöbnis auf den Staat vorgelesen. Wir mußten immer "Ja, das geloben wir" sagen. Ich hatte mir ein schönes Kleid gewünscht, als mich Tante Gerda brieflich anfragte, was ich mir zur Jugendweihe wünschen würde. Sie schickte mir einen schönen Stoff, und Mutti nähte mir ein Kleid. Weiße Handschuhe durften damals auch nicht fehlen, und neue Pumps gab es auch, inzwischen konnte ich schon damit laufen und ließ sie nicht an jeder Ecke stehen, wie damals in Westberlin, als wir von Tante Gerda kamen.

Feierlich marschierten wir ein, so wie wir es einen Tag vorher geübt hatten, wir setzten uns auf unsere Plätze vorne und lauschten der Musik. Dann sprach der Direktor, dann sprach ein Lehrer, dann sprach der Pionierleiter und der FDJ-Sekretär, der uns klar machte, daß wir nun in die FDJ einzutreten hätten. Als alle fertig waren, standen wir auf, und der Direktor las das Gelöbnis vor. "Ja, das geloben wir" hörte ich alle quaken, ich machte nur den Mund auf und zu.

“Mein Leben für den Sozialismus einsetzen?“

Schon seit dem Bau der Mauer stand für mich fest, raus aus dem Osten, so wie sich eine Möglichkeit ergeben sollte. Deshalb wollte ich mich auch nicht mit irgend so einem Gelöbnis herumschlagen. Mein Leben für den Sozialismus einsetzen? Bei mir nicht! Nach dem Gelöbnis gingen wir auf die Bühne und bekamen alle einen Blumenstrauß von jungen Pionieren und ein dickes Buch "Weltall, Erde, Mensch", eigentlich ein gutes Buch.

Danach ging jeder seiner Wege, wir hatten nur eine kleine Feier im engsten Familienkreis. Gleich nach der Jugendweihe wurden wir alle in die FDJ aufgenommen, wir bekamen einen FDJ-Ausweis und sollten auch FDJ-Beiträge zahlen. Ich zahlte nie einen Pfennig. Angeblich wäre es für unsere Zukunft besser, gleich nach der Jugendweihe einzutreten. Um mir Ärger zu ersparen, machte ich mit. Nun hatten wir blaue Hemden mit einem FDJ-Emblem am Ärmel.

Papa sagte immer "FD-Jodlei" zu uns; einen Kollegen, der einen Kinnbart trug, sprach er immer mit "Mäh-Wa-ha ha-l-ter" an, in Anlehnung an eine Ziege, die ja einen Kinnbart hat, und in Anlehnung an unseren Staatsratsvorsitzenden, der ja wie eine Ziege einen Kinnbart hatte.

Empfohlene Zitierweise:
Dux, Christel: Jugendweihe und Freie Deutsche Jugend (FDJ), in: LeMO-Zeitzeugen, Lebendiges Museum Online, Stiftung Haus der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland,
URL: http://www.hdg.de/lemo/zeitzeugen/christel-dux-jugendweihe-und-fdj.html

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