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Christian Kapeller: Brief an die Mutter eines gefallenen Soldaten

Dieser Brief Brief wurde von Karl Völkl am 12.11.1948 verfasst. Eingereicht hat ihn Christian Kapeller 2009.

Karl Völkl berichtet in einem Brief vom 12.11.1948 vom Tode seines Freundes Nikolaus, der bei einem Artillerieangriff im Frühjahr 1944 ums Leben kam.

Werte Frau Streitner,

Ihre Zeilen vom 27.10. habe ich erhalten. Ihrem Wunsch gemäß, möchte ich Ihnen nun von Ihrem lieben Sohn Nikolaus, den ich als guten Kameraden kennen und schätzen gelernt habe, erzählen.

Dass ich Ihnen nicht früher von den leider Gefallenen berichten konnte, rührt daher, dass ich erst im Januar diesen Jahres aus russischer Gefangenschaft nach München zurückgekommen bin. Ich habe mich dann mit seiner Witwe , Frau Helene Streitner, in Verbindung gesetzt, aber auf meine Briefe keine Antwort erhalten. Daraufhin habe ich mich ans Bayrische Rote Kreuz gewandt, das meine Angaben weitergegeben hat.

Ihr Sohn und ich haben uns kennen gelernt, als wir im März 1944 an die Ostfront kamen. Wir hatten uns näher aneinander geschlossen, da wir fast gleichaltrig waren. Nikolaus war ein tadelloser Kerl und vor allem mit seinem unverwüstlichen Humor hat er uns über manche stille Stunde hinweggeholfen. Wir zwei waren auch in derselben Gruppe beim M.G. und hockten in manchem Loch, bei Dreck und Regen, zusammen beieinander. Beim Rückzug am Dnjester, als ich dann nach 5 Tagen Vermisstsein zurückkam, war er dann als Koch bei der Kompanie. Da ging es ihm nicht schlecht. Bis in die Slovakei war er dort und ich kann mich genau erinnern, hat uns so manches Schmankerl, z.B. Krapfen, Gulasch, Kuchen bereitet und hatte beim Hauptfeldwebel eine große Nummer. Und dann, wie die Männer immer weniger wurden, musste so ziemlich alles nach vorne, wenn der Russe wieder mal in die Linie eingebrochen war. Und so war Nikolaus wieder einmal bei einer Gefechtsstaffel eingesetzt, die auf Mulis Munition transportierte. Es war am Rande eines Dorfes in der Tschechei, ich weiss den Namen nicht mehr, als die Staffel mit ihren Mulis lagerte, als ganz plötzlich ein Artilleriegeschoss einschlug, und ehe die Leute Deckung fanden, ein paar Kameraden tödlich traf. Und unser Nikolaus war auch dabei, er war sofort tot. Die Toten wurden gleich am Dorfrand begraben. Eine Mitteilung an die Angehörigen konnte nicht gemacht werden, da am 20.04. die Postverbindung bereits unterbrochen war. Ich war dazumal in der Schreibstube und übernahm auch den Nachlass, es waren Briefe, Fotos, Karten, usw., der in seiner Gesamtheit den Russen in die Hände fiel. Und die Überlebenden kamen in die russische Gefangenschaft, in der wir oft so Schreckliches durchmachen mussten, so dass ich oft diejenigen beneidet habe, die still unter der Erde, von allem Elend befreit, ausruhen durften. Es war für mich eine heilige Pflicht, einmal in der Heimat angekommen, die lieben Angehörigen vom Nikolaus zu verständigen.

Liebe Frau Streitner, ich hätte Ihnen lieber eine freudigere Nachricht gegeben, doch das Schicksal wollte es anders.

Seien Sie versichert, dass Sie mit Ihrem Schmerz um den Tod des lieben, guten Nikolaus nicht allein sind. Ich werde ihm immer ein ehrendes Andenken bewahren.

Es grüßt Sie bestens,

Karl Völkl

Empfohlene Zitierweise:
Kapeller, Christian: Brief an die Mutter eines gefallenen Soldaten, in: LeMO-Zeitzeugen, Lebendiges Museum Online, Stiftung Haus der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland,
URL: http://www.hdg.de/lemo/zeitzeugen/christian-kapeller-brief-an-die-mutter-eines-gefallenen-soldaten.html
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