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Detlef Sennholz: Konsum von Westmedien in der DDR

Dieser Beitrag wurde von Detlef Sennholz (*1950) 2022 verfasst.

Westfernsehen im Elternhaus

1961 bekamen meine Eltern eine Neubauwohnung in Weißenfels-Nord, vermutlich kauften sie 1962 ihren ersten TV. Auf dem Flachdach hatte jede Wohnung ihren Antennenmast mit TV-Antenne. [Das] Westgebiet (Harz) [war] sehr weit entfernt. Schon mit 13 Jahren war ich häufig auf dem Dach zur Feinrichtungsjustierung u. [der] Beseitigung von Rost an den Anschlusskabeln aus verkupferten Eisen sowie [zur] möglichst höchsten Antennenbefestigung, damit wenigstens bei gutem Wetter leidlicher Empfang von West-TV möglich war.

Verweis wegen Hörens eines imperialistischen Senders

1964 bekam ich zur Jugendweihe ein Transistor-Taschenradio "Sternchen" mit 0,1W-Leistung. Ich war Beat-, Country- u. Rock 'n'Roll-Fan. Dafür interessante Sender auf MW waren nur der "Deutsche Soldatensender" u. der "Deutsche Freiheitssender 904". Während der EOS-Schulzeit mußten wir einmal in der Woche zum Berufspraktikum ins Hydrierwerk Zeitz mit dem Bus vom "Arbeiter-Berufsverkehr" fahren. Die Zeit nutzte ich zum Musikhören. Wegen Busgeräusch u. 0,1W-Lautsprecher mit dem Radio direkt am Ohr. Während einer Haltestellen-Pause muss vor o. hinter mir ein übereifriger "Parteiarbeiter" Musikteile gehört haben u. beschwerte sich bei der Betriebsleitung [und] diese anschließend beim Schuldirektor, von dem ich schließlich einen schriftlichen Verweis wegen Hörens eines imperialistischen Senders u. damit Provokation der sozialistischen Arbeiter bekam. Schriftstück leider vermutlich sofort weggeworfen u. Vorfall Jahrzehnte vergessen. Denn schon während [des] Studiums [hatte ich] besseren Rundfunk-Empfang, bevorzugt AFN [American Forces Network] Frankfurt o. Berlin. Dann kam [die] Deutsche Einheit u. die vielen Dokumentationen von Historikern zur DDR-Vergangenheit. Und plötzlich mußte ich erfahren, dass die ersten beiden Sender von der DDR nahe Magdeburg betrieben wurden, als Propaganda für BRD-Bevölkerung u. zur Info für dortige Ostspione. Aber ich bekam für das Hören einen schriftlichen Verweis!

Zugang zu Westfernsehen über den Hausmeister des Wohnheims

Ab 1969 Studium an der TH Merseburg. Ich war gewohnt freitagabends sowohl die Politmagazine als auch die amerikanischen Krimiserien zu sehen. Es gab wohl einen Fernsehraum, da waren die Kanalwähler vom TV so manipuliert das West-TV-Empfang nicht möglich [war]. Aber ich hatte infolge zusätzlicher Tätigkeit als Handwerker sehr guten Kontakt zum Hausmeister vom Wohnheim. So durfte ich schließlich immer freitagabends zum ihm in die Wohnung zum Fernsehen kommen. Sollte aber vorm Klingeln am Eingang aufpassen, dass mich andere nicht sehen. Vermutlich wurden private Kontakte kontrolliert!

Aufmerksamkeit für Wolf Biermann durch dessen Ausbürgerung

1976 arbeitete ich im CFP [Chemiefaserwerk Premnitz], zeitweise als Leitender Chemiker in einem großem Laborbereich. Infolge meines Faibles für US-Musik kannte ich kaum deutsche Musik, deshalb auch nicht den Liedermacher Wolf Biermann. Nach seinem Kölner Konzert am 13.11.76 u. der plötzlichen, unverständlichen Ausbürgerung wurde ich aufmerksam. Als deshalb von der ARD später das gesamte Konzert ausgestrahlt wurde, stand bei mir vorm TV ein Radiorekorder mit kontinuierlicher Aufnahme. Tage später rief mich meine Vorgesetzte zu sich ins Büro u. übergab mir eine Art Flugblatt mit der Überschrift "Der Fall Biermann". Ich sollte den Inhalt einen Tag später auf einer Belegschaftsversammlung allen Anwesenden darlegen. Ich las es einmal durch, zu Hause ein zweites Mal u. hörte mir nochmal Konzertteile von den Audiocassetten an. Meine Meinung u. Entscheidung stand fest. Am folgenden Tag teilte ich der Chefin mit, dass ich nicht in der Lage bin, dies darzulegen und behielt das Flugblatt! Denn ich war auch vorsichtig u. hatte deshalb Ausreden für den Notfall! Unter dem Flugblatt stand kein Verfasser o. [eine] Unterschrift. Und es fehlte eine Registrierung-Nr. durch das MdI [Ministerium des Innern], welche für alle Druckerzeugnisse o. sonstige Massenschreiben vorgeschrieben war.

Westfernsehen in der Parteischule

Schon als Student wurde ich 1972 Mitglied der ostdeutschen CDU, quasi in Opposition zu meinem Vater als völlig inaktives SED-Mitglied; aber im Kontakt zu seinem verfeindeten Bruder welcher für die CDU sogar aktiver Kreistagsabgeordneter war. Zirka 1976 oder 77 wurde ich Ortsgruppenvorsitzender für Premnitz u. die umliegenden Dörfer. Infolge dieser Funktion wurde ich [1978] zu einem Lehrgang an die zentrale CDU-Parteischule in Burgscheidungen delegiert. Im riesigen CFP Premnitz waren Mitglieder der "Blockparteien" nicht gern gesehen, da, neben dem Direktor, der erzreaktionäre Kommunist E. Dorn als SED-Parteichef das Sagen hatte. Deshalb wurde mir zuerst die Freistellung für die Parteischule verweigert. Erst nach Beschwerde der CDU bei der SED-Bezirksleitung durfte ich zum Lehrgang. Wie bereits erwähnt, waren in öffentlichen u. betrieblichen Einrichtungen die TV-Geräte für Westempfang gesperrt. Im Fernsehraum [der CDU-Parteischule] aber nicht. Sofern ich der "Erstbesucher" im Raum war, konnte ich also meine gewünschten Programme sehen. Denn für mich war eben schon viele Jahre wichtig, die öffentliche Meinung sowohl von Ost als auch West zu erfahren u. zu vergleichen. Und für die Ost-Meinung genügten mir die Abo's von "Neue Zeit" (Zentralorgan der Ost-CDU) u. "Märkische Volksstimme" (Tageszeitung der SED-Bezirksleitung Potsdam). Aber irgendwann passierte ein Zwischenfall: Während ich als Einziger im Raum gerade ARD-Tagesschau o. Politmagazin schaute, betrat ein anderer Teilnehmer der Schulung den Raum, um wohl eine Sendung auf DFF [Deutscher Fernsehfunk] zu schauen. Er merkte sehr schnell als "überzeugter sozialistischer Staatsbürger", dass da das "falsche Programm lief" u. verließ den Raum. Hatte aber nichts besseres zu tun, als sich beim Direktor der Parteischule zu beschweren. Ergebnis: Zu Beginn der täglichen Schulungen war der Direktor immer kurze Zeit zu Infomationen u.a. im Saal anwesend. Und sprach nun auch die TV-Nutzung an. Aber mit Hinweis darauf, dass er keine Verbote diesbzgl. aussprechen wollte, sondern die Auffassung vertrat, dass wir Teilnehmer der Parteischule selbst verantwortungsvoll u. gewissenhaft das TV nutzen sollten. Noch heute habe ich deshalb Hochachtung vor dieser Auffassung des Direktors!

Nachteile durch CDU-Mitgliedschaft und Konsum von Westmedien

1979 wurde meine Planstelle als Leitender Chemiker gestrichen u. man wollte mich zwangsversetzen (wohl als "Erziehungsmaßnahme"). Ähnlich erging es auch anderen CDU-Mitgliedern im Großbetrieb. Ob dabei die obigen Vorgänge eine Rolle spielten, ist unbekannt. Bisher auch nichts aus den Stasi-Unterlagen dazu ersichtlich. Dass aber dem eigenen Wunsch sowie dem eines Forschungsbereichs mich einzustellen nicht entsprochen wurde, könnte auch an meiner Massenmedien-Nutzung gelegen haben. Denn auch während der Gartenarbeit auf meinem großen Grundstück wollte ich "meine Musik" hören. Bluetooth-Lautsprecher gab es noch lange nicht. Also wurde auf der Terasse mittels Verlängerungskabel ein Lautsprecher der Stereoanlage aufgestellt, in Richtung [des] hinteren Garten. Es lief stundenlang AFN-Berlin. [...] [Auf einem nahe gelegenen] Grundstück war ein Wochenendhaus. Die Besitzerin beschwerte sich. Sie war im Großbetrieb […] [in einer führenden Position tätig], damit sicher mindestens IM der Stasi. Ein Schelm, der Böses denkt!

Zur Person

Detlef Ingolf Sennholz wird 1950 in Weißenfels (Sachsen-Anhalt) geboren. Ab 1957 besucht er die Grundschule in Weißenfels und anschließend ab 1965 die Erweiterte Oberschule Lützen, die er 1969 mit dem Abitur abschließt. Parallel zur Erweiterten Oberschule absolviert er eine Berufsausbildung zum Chemielaborant im Hydrierwerk Zeitz. Im Anschluss studiert Detlef Sennholz an der Technischen Hochschule für Chemie in Merseburg. Ab1973 arbeitet er im Chemiefaserwerk in Premnitz, wo er 1976 leitender Chemiker des Zentralen Betriebslabors wird. Als Sennholz 1979 mit einer schlechten Beurteilung entlassen wird, beginnt er einen Arbeitsrechtsstreit, der bis zum Obersten Gericht der DDR verhandelt wird. Da Sennholz als Folge nicht mehr in seinem Ausbildungsberuf tätig sein kann, arbeitet er zunächst als Kraftfahrer und Sargtischler, ab Mitte 1980 bis 1985 ist er im kaufmännischen und wirtschaftlichen Bereich des Konsum Backwarenkombinats Potsdam tätig. Für Familienbesuche erhält er 1988/89 zweimal eine Reiseerlaubnis in den Westen. Ab 1990 arbeitet er für verschiedene Versicherungen, bis er im Jahr 2000 nach Norditalien auswandert.

Empfohlene Zitierweise:
Sennholz, Detlef: Konsum von Westmedien in der DDR, in: LeMO-Zeitzeugen, Lebendiges Museum Online, Stiftung Haus der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland, URL: http://www.hdg.de/lemo/zeitzeugen/detlef-sennholz-meinungsbildung.html
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