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Hannes Bienert: Deutsche Kriegsgefangene und Schwarzmarkt in Beuthen

Dieser Eintrag wurde von Hannes Bienert (1928-2015) im Jahr 2013 in Bochum verfasst. Johannes "Hannes" Bienert kehrt 1945 in seine nun polnische Heimatstadt Beuthen [Bytom] zurück. Um vor Übergriffen geschützt zu sein, gibt er sich als Pole aus, der von den Nationalsozialisten entführt worden und nun zurückgekehrt sei.

Arbeit auf der Zeche

Dann kam ich zur Heinitzgrube, einer großen Zeche in Beuthen. Die hieß damals unter den Polen Kopalia Rospak. Das war 1945, da war ich inzwischen 17 Jahre alt. Da stellte ich mich vor und hatte dann schon wieder halbwegs ein Dokument. Ich wurde auf der Zeche angenommen. Ich kriegte dann, weil ich ja dieses polnische Kind war, das ehemals von den Nazis verschleppt wurde, einen Vertrauensposten: Unterirdisch, drei Kilometer von der Hauptschachtanlage entfernt, in einer Nebenschachtanlage, war ein deutsches Gefangenenlager mit deutschen Kriegsgefangenen. Ich kam dann zu einem alten Polen, der ungefähr um die siebzig Jahre alt war. Von dem kriegte ich einen Karabiner und er hatte auch einen. Wir marschierten dann drei Kilometer unter der Erde. Die Gefangenen fuhren dann im Schacht runter, der in der Mitte eines Gefangenenlagers stand und ich, als treuer Pole, musste sie in Empfang nehmen. Wir brachten sie dann von dort unterirdisch zum Hauptschacht, dort wurden sie dann zur Arbeit eingeteilt. Als der Alte starb und nicht mehr wieder kam, war ich alleine, als treuer Pole und führte die deutschen Gefangenen zur Arbeit. Ich hatte ja wahnsinnig Schiss. Wenn das heraus gekommen wäre, hätte ich nicht nur meinen Job, sondern auch mein Leben riskiert. Die Kontrolle war sehr streng. Wenn du in die Zeche einfuhrst, machten sie Stichkontrollen. Da standen bei der Ein- und Ausfahrt links und rechts am Schacht zwei polnische Milizsoldaten mit der Kalaschnikow, damit keiner von den Kriegsgefangenen abhauen konnte. Runter und rauf wurden wir kontrolliert. Das war keine Seltenheit. Damals, zu der Zeit als ich da ankam, war es bei Todesstrafe verboten, Deutsch zu sprechen. Man wurde sofort von den Polen, die voller Hass waren, abgeknallt .

Leichen am Straßenrand

Wenn ich morgens um 5-6 Uhr zur Arbeit ging, war es nichts Außergewöhnliches, dass ich an zwei oder drei Leichen vorbeigehen musste, die am Straßenrand lagen. Als ich dann aber mit den deutschen Kriegsgefangenen alleine war, hatte ich mich nach und nach bei denen „geoutet“. Ich bekam von denen ihre Adressen. Das waren alles Bauernsöhne aus Westfalen. Die wollten mir das alles irgendwann einmal gut machen. Schade, dass ich das Notizbuch mit den Adressen verloren habe. Ich hatte denen viel geholfen. Die wollten ja nicht viel. Die wollten eine Hand voll Salz oder ein paar Zwiebeln, damit sie Bratkartoffeln machen konnten. Das schleppte ich alles versteckt da runter. Zurück nahm ich immer ein Stück Transportband von unter Tage mit. Es gibt ja dieses Gummiband, woraus die Transportbänder sind. Jeden Tag schnitt ich mir einen halben Meter von einer Reserverolle ab. Das wickelte ich mir um den Bauch und versteckte es so. Klötzchen durfte man sowieso mitnehmen. Der große Klotz wurde mit Draht umwickelt und noch am Arbeitsplatz in kleine Brennholzstücke gehackt. Jeden Tag nahm ich solch einen Klotz mit nach Hause.

Schwarzmarkt

Ich hatte ja im Krieg vor lauter Angst gelernt, Alkohol zu trinken. Das setzte sich dann auch fort. Jeden Samstag setzte ich mich mit den Holzklötzchen und dem Gummiband auf den Schwarzmarkt. Je nach dem, was da war. Ich hatte mit Kreide, ob das nun stimmte oder nicht, „Sohle und Absatz“ dran geschrieben. Größe 39, Größe 40, egal. Die Leute hatten ja nichts anderes. In der Wohnung wo ich mich eingenistet hatte, war eine ganze Kiste mit Knöpfen, alles durcheinander: Wäscheknöpfe, Hosenknöpfe, x-Beliebige Knöpfe, die man so wegschmeißt. Die hatte ich alle auf ein Blatt Papier mit einer Nadel befestigt und verkauft. Die Leute brauchten damals alles Mögliche. Ich handelte dann am Markt. Ich verscheuerte meine Sachen, vor allem die Schuhsohlen, aus dem alten Transportbandgummi was ich vorher aus der Grube mitgenommen hatte. Dann holte ich mir einen halben Liter Wodka für das Geld. Damit war das Wochenende wieder gerettet.

Empfohlene Zitierweise:
Bienert Hannes: Deutsche Kriegsgefangene und Schwarzmarkt in Beuthen, in: LeMO-Zeitzeugen, Lebendiges Museum Online, Stiftung Haus der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland,
URL: http://www.hdg.de/lemo/zeitzeugen/hannes-bienert-deutsche-kriegsgefangene-und-schwarzmarkt-in-beuthen.html
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