Zeitzeugen > Nachkriegsjahre

Heinz Schulz: Freizeitbeschäftigung in den Jahren nach dem Krieg

Dieser Eintrag wurde von Heinz Schulz (*1932) im Oktober 2011 in Duisburg verfasst.

"Erlebnispark" Nordhafen Walsum

In den Jahren 1946/1947 war das Deichvorland, stromabwärts vom Nordhafen Walsum, ein rechter Erlebnispark. Dort lag ein notgelandetes Messerschmitt Jagdflugzeug (ME 109), ein gestrandetes Panzerlandungsboot und anderes Kriegsmaterial aus der Zeit des Rheinübergangs der Amerikaner und der Engländer im Frühjahr 1945.

Zwei 15-jährige Jungs, Berni und Heinz, hatten aber nur Augen für ihre Tomaten - ja, Tomaten. Aber nun erzähle ich erstmal von Anfang an.

Berni und Heinz gingen in jenem schönen Sommer jeden Tag nach Feierabend zum Rhein. Das waren immer ca. vier Kilometer Fußmarsch hin und wieder zurück. Den Eltern hatten sie versprechen müssen, nicht im Rhein zu schwimmen. Die Badehosen mussten die zwei deswegen Zuhause lassen. Das störte weder Berni noch Heinz. Im Adamskostüm schwammen sie über den Fluss auf die andere Seite. Dort liefen sie stromauf und es ging wieder zurück.

Bei einem dieser Ausflüge entdeckte Berni (oder war es Heinz?) kleine Tomatenpflanzen, die im Kies am Ufer wuchsen. Den Schiffern war Dank. Damals entsorgten die Schiffer alles in den Rhein. Flugs entstand die Idee: Wir legen einen Garten an. An Rheinkilometer 794,3 war ein kleines Baggerloch, das zum Fluss zwei Zugänge hatte. Es war eine Insel im Rhein entstanden. Sie wurde Möweninsel getauft. Die beiden schwammen rüber und legten im Kies ein richtiges Gartenbeet an. Mutterboden und Kuhdung wurde auf einem Brett, das als Fähre diente, rübergeschafft. Die kleinen Tomatenpflanzen, fünfzehn an der Zahl, standen in Reih und Glied. Sie wurden von Tag zu Tag größer. Die Pflege war ja auch vorbildlich. Jeden Nachmittag wurde gegossen, alle paar Tage gab es Kuh- oder Pferdedung.

Trockener Sommer 1947

Nun war der Sommer 1947 ein sehr trockener. Der Wasserspiegel sank zusehends. Bald mussten sie nicht schwimmen, um den Garten auf der Möweninsel zu erreichen. Durch eine Furt, erst bis zu den Schultern, dann nur noch bis zu den Knien im Wasser, ging der tägliche Gang zum Garten. Die Tomatenpflanzen trugen apfelgroße Früchte. Die Zweige mussten gestützt werden, sonst wären sie unter der Last gebrochen. Das Sinken des Wasserspiegels ließ den Untergrund des Gartens austrocknen. Jetzt war noch mehr Pflege angesagt.

Jeden Tag trabten die beiden Hobbygärtner zur Möweninsel, um zu gießen, Unkraut zu zupfen und sich auf die bevorstehende Tomatenernte zu freuen. Die ersten Tomaten bekamen schon etwas rote Wangen.

Noch zwei oder drei Tage, dann wird es so weit sein. Dann wird geerntet!

Eines Tages kamen sie zum Gießen, der Rhein war wieder etwas abgesackt. Die Möweninsel war zur Halbinsel geworden. Die beiden blieben wie versteinert stehen. Der Schäfer hatte seine Herde am Rheinufer weiden lassen. Die Schafe haben sich über den Garten hergemacht. Was nicht gefressen wurde, haben die Schafe zertrampelt. Der schwarze Mutterboden im hellen Kies zeugte noch vom ehemaligen Garten.

Nun saßen zwei 15-jährige Burschen am Ufer des Rheins und weinten dicke Tränen.

Empfohlene Zitierweise:
Schulz, Heinz: Freizeitbeschäftigung in den Jahren nach dem Krieg, in: LeMO-Zeitzeugen, Lebendiges Museum Online, Stiftung Haus der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland,
URL: http://www.hdg.de/lemo/zeitzeugen/heinz-schulz-freizeitbeschaeftigung-in-den-jahren-nach-dem-krieg.html
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