Dieser Eintrag wurde von Heinz Schulz (*1932) im Mai 2007 in Duisburg verfasst.
Im Winter 1946/47 war die Not am größten. Mein Vater war kein Bergmann, also gab es keine Care-Pakete. Aus einer Werksküche bekamen wir nichts. In unserer Verwandtschaft hatten wir auch keine Bauern, die uns helfen konnten. Wir lebten von dem Wenigen, das es auf die Lebensmittelkarten zu kaufen gab. Selbst dafür standen wir meistens mehrere Stunden in der Reihe vor den Geschäften. Waren wir endlich an der Theke, hieß es oft "ausverkauft".
So beschlossen Willi und ich über Land zu fahren um Lebensmittel zu besorgen. Willi Drzycimski war 13 und ich 14 Jahre alt. Wir nahmen unseren Rucksack und eine große Tasche und fuhren mit dem Zug bis Wesel, dann mit einem wackeligen Bus nach Brünen. Jetzt ging es los. Von Bauernhof zu Bauernhof immer die gleiche Bitte: "Haben Sie etwas zu essen für uns?" Manchmal gab es ein paar Kartoffeln, eine Hand voll Weizen- oder Roggenkörner. Oft bekamen wir nichts. Dann gab es belegte Brote. Ein Bauer schenkte uns zwei Eier. So zogen wir durch die Unterbauernschaft. Es war bitter kalt.
Als es dunkel wurde kamen wir an einem Hof, in dessen Küche Licht brannte. Wir hörten das Gemurmel des Tischgebetes. Es wurde still, nun klopften wir an die Tür und baten, in der Scheune schlafen zu dürfen. Die Bäuerin holte uns herein. Es gab ein richtiges Abendessen, Bratkartoffeln, Kappessalat und gebratene Eier. Danach einen Teller Milchsuppe. Wir durften in richtigen Betten schlafen. Nach einem ausgiebigen Frühstück zogen wir mit zusätzlichen 5 Kilo Kartoffeln dankbar weiter.
In der Nacht hatte es geschneit. Der Wind fegte über die Felder. Durch die Schneeverwehungen stampften wir von Tür zu Tür. Gegen Mittag erreichten wir Hamminkeln. In der Gaststätte am Bahnhof wärmten wir uns mit einem Heißgetränk auf. Jetzt ging es in Richtung Heimat. Stolz konnten wir den Eltern ein paar essbare Sachen übergeben. So war 1946, erst nach der Währungsreform vom 20. Juni 1948 wurde es besser.
Empfohlene Zitierweise:
Schulz, Heinz: Unsere erste Hamsterfahrt, in: LeMO-Zeitzeugen, Lebendiges Museum Online, Stiftung Haus der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland,
URL: http://www.hdg.de/lemo/zeitzeugen/heinz-schulz-unsere-erste-hamsterfahrt.html
Zuletzt besucht am: 19.04.2024