Zeitzeugen > Nachkriegsjahre

Hermann Lohmann: Zurück in der Heimat

Dieser Eintrag wurde von Hermann Lohmann (*1925) im Jahr 2010 verfasst.

Mein Heimatdorf Echem

Von Wendhausen aus ging ich weiter über Sülbeck, Boltersen, Walmsworth und Grevenhorn an der Alten Neetze entlang durch den Lüdersburger Wald "Großer Ort". Am 28.Mai 1945 abends nach ca. 45 km Fußmarsch erreichte ich den Waldrand und sah zum ersten Mal nach fast zwei Jahren mein Heimatdorf Echem wieder.

Wie oft hatte ich in den letzten beiden Jahren diesen Augenblick herbeigesehnt. Nun lag das Dorf still und friedlich inmitten von grünen, blühenden Wiesen vor mir. Es war ein herzbewegendes und überwältigendes Glücksgefühl.

"Niemand durfte mich sehen, bevor ich im Elternhaus war"

Auf der an den Wald grenzenden Weide erkannte ich Albert Soltau sen., der dort seine Kühe molk. Er hatte wohl Angst vor Polen, die zu der Zeit Artlenburg und Brietlingen besetzt hatten. Es wurde oft Vieh gestohlen. Deshalb hatte A. Soltau seine Kühe in die äußerste Ecke der Feldmark getrieben. Ich war vorsichtig und setzte mich an dem Waldrand so hin, dass Herr Soltau mich nicht sehen konnte und wartete bis er wegging. Ich ging nicht zu ihm, um ihn zu begrüßen. Unterwegs hatte ich immer wieder gehört, dass Soldaten, die auf eigene Faust, ohne entlassen zu sein nach Hause gekommen waren, von den Alliierten sofort abgeholt wurden. Sie wurden dann in ein Gefangenenlager gesteckt. In den Dörfern sprach sich damals natürlich sehr schnell herum, wer nach Hause gekommen war. Das blieb auch der Besatzungsmacht nicht verborgen. Dieses Schicksal wollte ich mir ersparen. Niemand durfte mich sehen, bevor ich im Elternhaus war. Es hätte sich sonst auch hier im Dorf wie ein Lauffeuer herumgesprochen, dass ich heimgekehrt wäre. Am nächsten Tag hätte mich dann der Tommy abgeholt. Das wollte ich vermeiden. Als Albert Soltau weg war, ging ich erst mal zu seinen Milchkannen, die, wie immer noch üblich, gefüllt mit offenem Deckel zwecks Kühlung nachts auf der Weide stehen blieben. Ich wusste ja wie man aus einem Milchkannendeckel trinkt. Ich hielt die drei Seitenlöcher zu, goss die frisch gemolkene Milch hinein und trank. Ach, wie köstlich schmeckte damals diese Milch.

"Immer in Deckung"

Dann schlich ich in der Feldmark weiter von Busch zu Busch immer in Deckung bleibend. Ich hörte, dass im ehemaligen Arbeitsdienstlager Engländer lärmten. Das Dorf war also von Engländern besetzt. Ich schlich weiter in die Nähe des Dorfes und verbarg mich hinter einem Weidenbusch im Grenzgraben unseres Ackerlandes, der ohne Wasser war. Da kamen Christoph Rosenberg und seine Frau auf unseren Acker, wohl um die Deckungslöcher der Engländer zu besichtigen, die diese vor der Elbüberquerung neben ihren Geschützen gegraben hatten. Ich machte mich im Seitengraben ganz lang, als sie direkt auf mich zukamen. Die beiden gingen etwa 3 m an mir vorbei und entdeckten mich glücklicherweise nicht. Jetzt wurde ich noch vorsichtiger und ließ es erst mal dunkel werden. In der Dunkelheit schlich ich weiter zum Bahndamm in ein großes Weidengebüsch. Dort horchte ich wieder. Als alles still blieb, ging ich zum ersten Gartenzaun vor. Ich durfte auf keinen Fall einer englischen Streife in die Finger geraten. Als sich nichts rührte, ging ich von Zaun zu Zaun und kam wohl so um Mitternacht in unserem Garten an. Ich wusste nun nicht, ob meine Eltern im Haus waren oder ob es von Engländern besetzt war. Ich stellte mich unter das im Hochparterre gelegene Schlafzimmerfenster meiner Eltern und sagte irgendetwas in englischer Sprache. Daraufhin hörte ich wie meine Mutter auf Plattdeutsch zu meinem Vater sagte: "Die Engländer sind da, die können uns ja was tun." Als ich die Stimmen meiner Eltern erkannt hatte, gab ich mich zu erkennen. Meine Eltern sprangen aus den Betten und öffneten sofort ein Fenster und ich kletterte um Mitternacht in das Schlafzimmer meiner Eltern.

Empfohlene Zitierweise:
Lohmann, Hermann:Zurück in der Heimat, in: LeMO-Zeitzeugen, Lebendiges Museum Online, Stiftung Haus der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland,
URL: http://www.hdg.de/lemo/zeitzeugen/hermann-lohmann-zurueck-in-der-heimat.html
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