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Otto Fuchs: Endlich nach Hause

Dieser Beitrag wurde von Otto Fuchs (1924 – 2016) aus Nürnberg in den 1970er Jahren verfasst.

Der Verrat - Erneut in Gefangenschaft

Frau Gerda, die für uns lange gekocht hatte, ist verschwunden, wohl nach Litauen. Ihre Mutter und Großmutter sind im Frühjahr verhungert, da ist sie mit dem kleinen Jungen davon, vor dem Hunger geflohen.

Da geschieht der Verrat: Heinz Schlüter aus Hamburg, der mit Fred in der Werkstätte arbeitete, hat uns verraten. Einige Tage ist Fred verschwunden und alle meine Nachforschungen sind vergebens, da erwischen sie auch mich! Draußen auf dem Feld bei der Arbeit, ich konnte nicht mehr rechtzeitig verschwinden, muß ich den Pistolen gehorchen! In einen Stall werde ich gesperrt, ein Posten sitzt vor der Türe. Die Wände sind dick und fest, es ist kein Ausweg. Tag und Nacht werde ich verhört, angeschrien und geschlagen und Seite um Seite füllt mein erfundener Lebenslauf, mein Protokoll wird immer umfangreicher. Besonders ein kahlgeschorener Major läßt seinen Haß an mir aus. Oh, ich könnte ihm an den Kragen!

Aus der Art des Verhörs merke ich immer mehr die Zwecklosigkeit des Leugnens, da alles schon verraten ist. Nachdem ich den Major noch einmal tüchtig angelogen hatte – ich mußte es büßen! – und er wutschnaubend abgezogen war, erzähle ich in aller Ruhe fast die Wahrheit und wieder füllt sich Seite um Seite. Der arme Schreiber!

Im Wagen werde ich hinaus ins „Fort Kanitz“ gefahren, durch unterirdische Gänge mit Fußtritten und Kolbenhieben getrieben. Ich soll über die Sperrzone, damit der Posten auf dem Turm schießen kann, doch gelingt es mir immer wieder auszuweichen. Ein eisernes Tor öffnet sich, ich werde in den dunklen Raum gestoßen, einer fängt mich auf: Fred! Bleich, unrasiert steht er vor mir und findet wie ich keine Worte.

Eiskalt ist das Loch! Wenn mittags die Sonne kurz an der Türe ist, dann strecken wir abwechselnd die Hände in die Wärme. Wir haben ja nur dünne Arbeitssachen an. Die Nächte auf dem kalten Steinboden sind fürchterlich und als wir dann auf einem Lastwagen sitzen, sind wir wie erlöst. Wir sollen ins alte Lager zurück! Das würde unser Ende sein und wir machen auf keinen Fall mit. Über rumpelige Landstraßen geht es, wobei uns der Wachsoldat keinen Augenblick aus den Augen läßt. Wir müssen doch recht gefährlich sein und dabei sind wir zunächst nur froh, aus dem Eisloch zu sein.

Im Lager Georgenburg endet die Fahrt und nachdem man uns gründlich durchsucht hat, sind wir wieder echte Kriegsgefangene, aber von nun ab mit einem für uns unangenehmen Vorzeichen. Das alles geschah im Juni und Juli 1947. Wir werden kurz getrennt und finden wieder im Lager Königsberg-Juditten zusammen. Aus dem Strafzug sind wir wegen „guter Führung“ entlassen und sollen nun hier mit hinaus in die Fabrik zur Arbeit. Unsere erste Bemühung ist, den Schwestern Nachricht zu geben und später gelingt uns auch eine recht gute Verbindung. Im Winter schleppen wir vereiste Holzstämme, frierend und oft durchnäßt. Nächtelang laden wir aus Schiffen die Stämme aus, oft nur im dunklen Bach des Schiffes tapsend.

An meinem Geburtstag erlebe ich die schönste Freude: Als Otto Seidl hatte ich nach Hause geschrieben und nun ist Antwort da! Die Schwestern schicken sie mir ins Lager und wohl eine Stunde brauche ich, um Mutters Brief zu lesen, die erste Nachricht seit 1944.

Dann im Sommer geht es besser. Fred arbeitet als Klempner und ich bin Glaser. Unsere Hauptarbeit ist in der Spritfabrik Schnaps zu stehlen und diesen zu verkaufen. Mit dem Gewinn bessern sich unsere Verpflegung und unsere Gesundheit. Noch wollen wir den 31. Dezember 1948 abwarten, da wir alle entlassen werden sollen. Ist dies nicht der Fall, werden wir es wieder auf eigene Faust versuchen und dazu müssen wir kräftig sein. Immer noch hat man ein Auge auf uns und immer noch will man uns einreden, daß wir bei den Partisanen und daß wir englische Spione gewesen wären. Auch Antisowjetpropaganda haben wir getrieben und außerdem Funkverbindung mit dem Westen unterhalten. Daß wir einfach nach Hause wollten und deshalb flüchteten, glaubt uns kein Mensch.

Entlassung und Heimreise

Nun haben wir einige Zeit Ruhe, der Vernehmungsoffizier der N.K.W.D. ist nach Moskau gefahren! Da geschieht das Wunder! Eine Entlassungsliste wird bekanntgegeben, nachts um 2 Uhr und wir trauen unseren Ohren nicht: Wir sind mit aufgeführt! Ein unbeschreiblicher Trubel entsteht im Lager! Frohe Gesichter und ernste derjenigen, die noch bleiben müssen. Wir können es nicht glauben, denn zu oft wurden wir angelogen und mancher Transport, der zur Entlassung fuhr, wurde irgendwo im Innern Rußlands ausgeladen. Unmöglich, die Szenen im Lager zu beschreiben! Wir ziehen ins „Hafenlager“ und am 28. März rollt unser Zug! Wir beide stehen immer noch in vollster Spannung und sooft auch Namen aufgerufen wurden von Kameraden, die jetzt noch zurückgehalten wurden! Wir waren nicht dabei!

Nach Osten geht es und wir sind bereit, abzuspringen, da wendet die Richtung! Endlich: Brest-Litowsk! Gründlichst wird alles untersucht und wieder müssen gebrochene Menschen zurück hinter Stacheldraht. Wir aber rollen weiter. Bei der polnischen Grenzkontrolle merken wir, wie ungern man uns in die Heimat fahren läßt.

Dann auf deutschem Gebiet! Frankfurt an der Oder! Wir erschrecken über die deutschen Menschen, die jetzt, früh um 3 Uhr, heimlich in unsere Waggons klettern, nach Holz, Kohle und anderen Resten suchen. In der „Horn-Kaserne“ müssen wir diesen letzten Gefangenentag noch schwer arbeiten, dann stehen wir fertig am Tor und warten auf den Entlassungsschein. Alle fast haben ihren Schein und können durchs Tor in die Freiheit und ganz zuletzt noch wird von irgendwoher mein Name gerufen. Mir war es heiß geworden!

Wir sehen kein Bajonett mehr, werden nicht mehr angetrieben, sind keine Kriegsgefangenen mehr und doch fühle ich mich noch nicht sicher. Von Fred, der in die englische Zone fährt, bin ich getrennt. Das war ein Zusammenhalten auf Leben und Tod und wird es bleiben!

50 Ostmark habe ich erhalten und muß sie noch hier ausgeben. In Leipzig kaufe ich mir mit drei Gleichgesinnten einen Schwips. Als wir singend zum Zug gehen, sehen wir gerade noch die roten Schlußlichter in der Nacht verschwinden.

So vieles Leid wurde uns mitgeteilt, die wir nach dem Westen fahren und es hätte niemand zu sprechen brauchen, zu deutlich konnten wir es selbst sehen.

An der Zonengrenze! Selbst hier werden zwei Kameraden zurückgehalten, es muß furchtbar sein für sie! Wie wir dann die frohen Menschen sehen, luftig gekleidet und frische Kinder, da weiß auch ich, daß ich gerettet bin und endlich löst sich der Krampf in mir! 4 lange Jahre der Ungewißheit! Hinter Stacheldraht und als gehetztes Freiwild auf der Flucht! 4 lange Jahre Hunger und Entbehrungen! 4 Jahre Schmach! 3. April 1949! Ich bin daheim und weiß, daß ich nie diese Jahre vergessen kann!

Zur Person

Otto Ferdinand Fuchs wird am 9. September 1924 in Nürnberg geboren. Nach seinem vorgezogenen Abitur geht Otto Fuchs zum Panzerregiment Großdeutschland. In der Gegend von Memel erleidet er 1944 eine Kriegsverwundung und wird im Lazarett in Fürth/Bay behandelt. Bei Kriegsende ist er an den Kämpfen um Berlin beteiligt und wird dort Kriegsgefangener der russischen Armee. Nach seiner Freilassung und der Rückkehr nach Nürnberg beginnt er ein Praktikum bei der „MAN - Maschinenfabrik Augsburg-Nürnberg“ und bleibt dort bis zu seiner Rente in der Werbeabteilung. Im Jahr 1953 heiratet er Elli Götz, 1961 wird ihr Sohn geboren. Fast sein ganzes Leben ist Otto Fuchs künstlerisch tätig, am liebsten schnitzt er Figuren aus Holz. In Nürnberg Buchenbühl hat er sowohl die evangelische als auch die katholische Kirche mit Holzskulpturen ausgestattet. Otto Ferdinand Fuchs stirbt am 25. Januar 2016.

Empfohlene Zitierweise:
Fuchs, Otto: Endlich nach Hause, in: LeMO-Zeitzeugen, Lebendiges Museum Online, Stiftung Haus der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland, URL: http://www.hdg.de/lemo/zeitzeugen/lemo/zeitzeugen/otto-fuchs-endlich-nach-hause.html
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