Zeitzeugen > Nachkriegsjahre

Sigrid Otto: Lehrerin in der DDR 1949-1952 und Flucht nach Westdeutschland

Dieser Beitrag stammt von Sigrid Otto (1925-2014) aus Leonberg.

Lehrerin in der DDR

Im Jahre 1949 entstand die westdeutsche Bundesrepublik mit der Hauptstadt Bonn, die sowjetische Besatzungszone hieß nun Deutsche Demokratische Republik (DDR), mit der Hauptstadt Ost-Berlin. Das Leben wurde politischer. Unsere Schule erhielt einen neuen Schulleiter, der Mitglied der Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands (SED) war. Jede gute Verbindung zur Kirche wurde beobachtet. Im Unterricht musste man mit politischer Kontrolle rechnen. Da ich viele Musikstunden erteilte, wurde ich vom 9. Januar bis 15. Juni 1950 zu einem Internatslehrgang für Musikerziehung nach Hellerau abgeordnet. Man brachte uns bei, wie man den Schulchor und eine Instrumentengruppe leiten könnte, man lernte Lieder nur mit Akkorden zu begleiten und hatte dafür Klavierunterricht. Diese Wahlfachprüfung wurde zu meiner am 23.6.50 abgelegten zweiten Lehrprüfung zur Anstellung an der Grundschule dazu gefügt. Tatsächlich hatte ich am Ende des Schuljahres bei einer Abschlussfeier des 8. Schuljahres einen großen Erfolg mit Chor und Orchester mit einem Teilstück der Sinfonie mit dem Paukenschlag von Haydn. Doch muss ich gestehen, dass der entlassene Musiklehrer privat alle Instrumentenschüler unterrichtete und mir bei meinem Klavierunterricht bei ihm alles beibrachte. Sogar der Paukenschlag kam genau richtig. Die Erkenntnis, mit wenigen Fertigkeiten viel zu erreichen, half mir in meinem weiteren Leben.

Erste politische Schwierigkeiten und Versetzung

1951 fand in Berlin der evangelische Kirchentag statt. Ohne Probleme konnte man daran teilnehmen, auch West-Berlin besuchen. Die Unterschiede zwischen Ost und West wurden mir zum ersten Mal deutlich, besonders weil meine Schwester bei einem Feinkostladenbesitzer untergebracht war. Mich zog es nicht in den Westen, mein Leben und mein Beruf füllten mich zufrieden aus. Meine Lage begann politisch gesehen schwierig zu werden. Als Stellvertreterin des Schulleiters wurde ich abgesetzt, ein Kollege, der die DDR-Verfügungen bejahte, erhielt diese Stelle. Es deuteten sich auch militärische Reformen an, dazu gehörten die Schießzirkel der FDJ. Viele Wochen vor dem Ende des Schuljahres 51/52 fand eine Lehrerkonferenz besonderer Art statt. Alle Kollegen sollten unterschreiben, dass sie auch bereit seien mit der Waffe in der Hand die Errungenschaften der DDR gegen Westdeutschland zu verteidigen. Mit dieser Zustimmung wollte der Schulleiter seine Position verbessern. Mit mir unterschrieben auch mehrere Kollegen nicht. Einige Tage später folgte vor einer Kommission eine Unterredung mit der Verfügung, nur noch bis zum Ende des Schuljahres an dieser Schule bleiben zu können. Danach sei der Einsatz in der sozialen Wirtschaft möglich, als Vorschlag wurde die Webereifabrik im Ort genannt. Auch wäre eine Versetzung an die Taubstummenschule in Leipzig oder an die Hilfsschule in Mittweida möglich. Ich nahm das Letztere an und erhielt die Versetzung dahin.

Flucht nach Westdeutschland

Sofort begann ich meine Flucht nach Westdeutschland vorzubereiten. Viele Päckchen an meine Schwester wurden von verschiedenen Orten aus abgeschickt. Einen kirchlich gebundenen Helfer fand ich, der meine Wohnungseinrichtung zum Beginn der Sommerferien statt nach Mittweida zur Pfarrfamilie Börner nach Niederlichtenau brachte. Es war eine Zeit, in der man nicht wusste, wem man vertrauen könnte. Mit einer Fahrkarte zur Ostsee und einem Köfferchen vollgepackt mit Badesachen stieg ich in Ost-Berlin aus. Mit der Reichsbahn konnte man noch nach West-Berlin fahren, hatte aber Angst vor einer Kontrolle, da man mit ihr rechnen musste, trotzdem wagte ich es. Voll Freude erreichte ich Zehlendorf, die Adresse einer Freundin meiner Mutter kannte ich und war dankbar, dass sie mich aufnahm und ich nicht in ein Flüchtlingslager eingewiesen werden musste.

Notaufnahmeverfahren

Nun begann die Zeit des Notaufnahmeverfahrens. Man erhielt einen Laufzettel, der mir heute noch zeigt, dass ich innerhalb drei Wochen 12 Stellen aufsuchen musste, oft bei langen Wartezeiten. Dabei begegneten mir zwei Kollegen meiner Lunzenauer Schule. Am 10.9.52 erhielt ich die Aufenthaltsgenehmigung, als Hausgehilfin wurde ich nach Nordrhein-Westfalen eingewiesen. Das Flugzeug aber brachte mich nach Hamburg in ein Lager. Vor meiner Flucht hatte ich mein Fahrrad Christine Börner gegeben. Sie schenkte mir ihr Rad, das sie bei ihrer Rückkehr nach Sachsen in Hamburg hatte stehen lassen müssen. Also meldete ich mich im Lager ab, holte das Fahrrad und hatte zum Glück auch genügend Geld, um mit dem Zug nach Celle fahren zu können, wo die älteste Schwester meines Vaters lebte.

Zur Person

Sigrid Otto wird 1925 in Mittelsachsen geboren. Ab Januar 1946 absolviert sie an der Oberschule in Rochlitz eine achtmonatige Ausbildung für Neulehrer. Parallel dazu holt sie ihr Abitur nach. Anschließend unterrichtet sie an der Zentralschule in Lunzenau. Da sie sich in der DDR politischen Repressionen ausgesetzt sieht, flieht sie 1952 über West-Berlin in die Bundesrepublik. Auch dort ist sie weiterhin als Lehrerin tätig. Von 1975 bis zu ihrem Eintritt in den Ruhestand ist sie stellvertretende Schulleiterin an der Gerhart-Hauptmann-Realschule in Leonberg. Dort lebt sie bis zu ihrem Tod im Januar 2014. Im LeMO erzählt sie von ihrem Berufsweg in der DDR und ihrer Flucht in die Bundesrepublik.

Empfohlene Zitierweise:
Otto, Sigrid: Lehrerin in der DDR 1949-1952 und Flucht nach Westdeutschland, in: Lebendiges Museum Online, Stiftung Haus der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland,
URL: www.hdg.de/lemo/zeitzeugen/sigrid-otto-lehrerin-in-der-ddr-und-flucht-nach-westdeutschland.html
Zuletzt besucht am: 28.03.2024

lo