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Werner Kohler: Frühe Franzosenzeit in Freiburg 1945

Dieser Beitrag wurde von Werner Kohler aus Gundelfingen im Jahr 2008 verfasst.

"Die Franzosen kommen"

Der Ruf: "DIE FRANZOSEN KOMMEN" ging von Mund zu Mund. Und dann waren sie da, nicht als Befreier, eher als Sieger und entsprechend verhielt sich Militär und Verwaltung gegenüber der gebeutelten Bevölkerung. Die Trikolore wehte von nun an an fast allen öffentlichen Gebäuden. Der Krieg war vorbei, aber die Wunden noch lange nicht verheilt.

Mein Vater - schwerstverwundet - und zwei meiner Onkel waren noch in französischer Gefangenschaft. Unser Auto, ein Motorrad und die Fahrräder wurden sofort requiriert. Mein Vater, naziverfolgt, bekam später ein ebenfalls requiriertes Fahrzeug als Ersatz von der Militärverwaltung zugewiesen. Es war ein BMW-DIXI ohne Räder !! In den Schulen, Turnhallen, ehemaligen Kasernen und auf dem gesamten Flugplatzgelände waren die Franzosen einquartiert. Für die Bevölkerung wurde Ausgehsperre verhängt. Die Militärpolizei in ihren Jeeps kontrollierten die Stadt und ihre Umgebung. Den Franzosen war die gesamte Situation nicht geheuer. Sie trauten den Deutschen noch nicht, sie hatten Angst. Und vor allem war da die Sprachbarriere.

Viele Wohnungen und ganze Villen mussten geräumt werden, und es zogen hauptsächlich Offiziere der französischen Armee mit ihren Familien ein. Sie genossen alle Privilegien, hatten Vorrang in den Straßenbahnwagen. Ebenso hatten sie Vorrang auf den Gehwegen. Einem Franzosen musste gewichen werden. Wir Buben blockierten oft die Straßenbahneingänge, indem wir uns in "Trauben" auf die Trittbretter hingen (das war in jener Zeit üblich) und zeigten damit den Franzosen an, dass für sie kein Platz mehr war. Wir ließen z.B. auch Luft aus ihren Fahrzeugreifen, hievten mit vereinten Kräften die Autos über die zahlreichen Freiburger Bächle, um sie so am Wegfahren zu hindern.

"Du nix swester"

Im Friedrichsgymnasium (FG) in der Jacobistrasse waren Marokkaner in den Klassenzimmern einquartiert. Ich erinnere mich noch an ihre weißen Turbane, und ich erinnere mich auch an ihre ständige Frage: "Du nix swester". Wir lachten und rannten davon. Aber es kam auch recht bald zu den ersten Kontakten der Marokkaner mit Mädchen und Frauen. Wir aber, ich und Freunde, machten uns im Hof des FGs an die interessanten ,dort abgestellten Ford Sattelschlepper (engl. Armee-Transportlaster). Sie waren unbewacht und schließlich war der Krieg ja zu Ende. Einige unter ihnen waren danach nicht mehr fahrbereit. Vor allem fehlte ihnen der Kraftstoff!

Eine besondere Geschichte ist mir noch gut in Erinnerung. Eines Abends, die Sperrstunde hatte längst begonnen, holperten mehrere Marokkaner bei uns das Treppenhaus herauf und trugen unsere Oma, die vor Schmerzen schrie, in die Küche. "Oma kaputt" wiederholten sie immer wieder. Oma war vom Garten mit dem Leiterwagen kommend auf der Straße gestürzt und hatte sich den Arm ausgekugelt.

"Anschlag" auf einen französischen Offizier

An eine andere Geschichte erinnere ich mich auch. Es passierte in den ersten Wochen der Besatzung. Einem französischen Offizier war in der Eisenbahnstraße auf Höhe der damaligen Hauptpost eine Kastanie auf den Kopf gefallen und er machte daraufhin einen Aufstand, wollte Leute festnehmen, weil er an einen "Anschlag" glaubte. Die Sache erledigte sich in dem Augenblick, als eine weitere Kastanie sich auf sein Haupt senkte.

Aber mit der Besatzung kehrten auch frohe Farben bei uns ein. Die Französinnen trugen rot, blau und andere leuchtende Farben und ihre Lippen und Wangen trugen "Rouge". Die Kinder waren adrett gekleidet. Vor allem die Schulkinder in Einheitskleidung, im Winter mit dunkelblauen Mänteln und "weißen Söckchen"!, im Gegensatz zu uns mit Holzschuhen und langen Strümpfen. Mittlerweile gab es auch die ersten Annäherungen im häuslichen Bereich, wo Franzosen sich mit Deutschen z.B. Küche und Toilette teilen mussten. Es kam auch zu Spannungen, wenn "MADAME" das große Menü in der Küche, die eben auch von Deutschen mitbenutzt wurde, zubereiten wollte und die deutsche "HAUSFRAU" das Feld räumen musste. Dafür fiel auch mal etwas für die Hausfrau ab. MADAME konnte ja ausgiebig im "ECONOMAT" einkaufen.

Freundschaften in Doppelhaushalten

In anderen Doppelhaushalten entwickelten sich auch richtige Freundschaften. Man respektierte sich gegenseitig und half aus. Das kleine Mädchen von nebenan durfte sogar bei Madame schlafen, weil die Mutter erkrankt war. Die liebenswürdige Madame bot dem Mädchen sogar großzügig "creme" an, was zu einem Missverständnis führte. Das kleine Mädchen lehnte nämlich dankend ab, weil es glaubte, es handele sich um Gesichtscreme. In Wirklichkeit hatte Madame ihr CREME (Vanillecreme) angeboten.

Am nächsten Tag wurde dann das französische Mädchen, und jetzt fällt mir der Name ein, "YVETTE" bei der deutschen Familie zum Kindergeburtstag eingeladen.

Und ich durfte endlich bei den Franzosenbuben in der Weiherhofstraße, wo sie einquartiert waren, mit einem "PEUGEOT"-Fahrrad eine Runde drehen. Wir Buben träumten von einem Franzosenfahrrad. Unsere Räder waren mit Gummistanzringen von Autoreifen vorn und hinten mit Dampfdruckschläuchen von der Reichsbahn bereift. Wenigstens konnte keine Luft entweichen.

Bei meinem Großvater im Hebsackweg (Herdern) wurde zum Teil auch geräumt, und eines Tages zog eine französische Offiziersfamilie in das Haus am Berg ein. Des Offiziers Fahrzeug musste in der Garage sicher abgestellt werden. Es bestand aber von Anfang an ein gutes Einvernehmen mit den alten Hausbewohnern. Deshalb gab''s auch ab und zu einen Kanister voll Benzin. Für Deutsche, die ein Auto fahren durften, wurden 5-Liter -Benzinmarken ausgegeben. Aber hierzu musste eine besondere Zuteilungsbewilligung vorgelegt werden.

Lebensmittelrationalisierung

Lebensmittel gab es nur auf Marken - zum Leben zu wenig. Also fuhr man ins Umland, um etwas Essbares zu ergattern. Aber Hamstern war verboten. Die Bauern mussten Abgabeverpflichtungen nachkommen. Die Einhaltung wurde streng kontrolliert. Wer in eine Straßenkontrolle der Franzosen, und die kannten kein Pardon, geriet, war sein Hamstergut los, wurde bestraft, ebenso der Bauer oder die Bäuerin .Kontrolliert wurde z.B. bei Freiamt Keppenbach, in Lehen-Betzenhausen, Bischofslinde und selbstverständlich an den Bahnhöfen. Es war gefährlich, auf Schleichwegen unterwegs zu sein - vor allem nach der "Sperrstunde" um 22 Uhr.

Es passierte mir und meinem Freund vom Kaiserstuhl kommend mit dem Fahrrad, dass die französischen Kontrollposten auf der Höhe Betzenhausen Warnschüsse abgaben. Die Sperrstunde war längst angebrochen und unsere Fahrräder waren schwer beladen mit Obst, Gemüse Milch und Brot. Wir wollten das teuer Erstandene auf keinen Fall an die Franzosen verlieren und machten uns Richtung Norden zu Fuß durch den Mooswald aus dem Staub. Spät, aber überglücklich erreichten wir unser Ziel in der Karlstraße.

Es geschah alles in den Anfangsjahren der Besetzung durch die Franzosen. Es war eine schwere Zeit für beide Seiten. Die Annäherung erfolgte in kleinen Schritten.

Hamstern, Tauschen und Organisieren

Hamstern, Tauschen und Organisieren hatten wir gelernt. Mein schönes, großes Modellschiff tauschte ich mit den Franzosenbuben in Herdern in der Weiherhofstraße gegen 3 Töpfe voll Farbe, blau, weiß und rot. Die Farbe stammte aus dem Franzosen -Lager am Flugplatz. Aber mit den Trikolorefarben blau und rot konnten wir nichts anfangen. Wir benötigten zum Streichen unserer wiederinstandgesetzten Wohnung nur weiße Farbe. Also tauschte mein Vater kurzerhand die" wertvolle französische Ölfarbe" bei einem Kriegskameraden gegen weiße Kreide-Leimfarbe ein.

Bohnenkaffee und Schokolade organisierten unsere Schweizer Verwandten für uns. Sie umgingen die Kontrolle am Basler Badischen Bahnhof, indem sie jede Woche dem Lokführer der O1 Schnellzuglok ein Päckchen im Lockführerstand deponierten. Der Zug kam abends "pünktlich"! in Freiburg am Hauptbahnhof an. Überall patroullierte die französische Gendarmerie. Sie erwischten meine Mutter und mich nie, weil wir von der Nordseite unbemerkt an die Lokomotive des Zuges herankamen und das Päckchen vom Lokführer in Empfang nehmen konnten.

Der Schulunterricht an den Freiburger Schulen hatte nach dem Krieg noch nicht wieder begonnen. Die unzerstörten Schulen wie z.B. Friedrichsgymnasium, Hindenburgschule am Holzmarkt, Gewerbeschule hinter der Johanneskirche und die Emil-Thoma-Schule am alten Messplatz waren von den Franzosen zunächst noch in Beschlag genommen. Über den Portalen wehten die französischen Fahnen, Militärposten bewachten die Zugänge. Deutsche hatten keinen Zutritt mehr.

Wir hatten ausgekundschaftet, dass mindestens einmal in der Woche ein LKW (1.5 to Ford oder Opel "Holzvergaser") vom Versorgungslager an der Nordseite des Flugplatzes vollbeladen mit Obst, Gemüse, Brot und Fleisch über den Notschrei (Kirchzarten Oberried) auf den Schauinsland zum damaligen Hotel Burgraf fuhr. Dort war ein Stab von französischen Offizieren untergebracht und die mussten ja schließlich ordentlich versorgt sein. Der LKW-Motor wurde nicht mit Benzin oder Diesel-Kraftstoff betrieben, sondern mit "Holzgas". Dieses Gas brachte etwa nur 4 % der ursprünglichen Leistung und der LKW hatte deshalb alle Mühe, den Schauinsland zu erklimmen. Der Fahrer war von der deutschen sog. "Fahrbereitschaft", uniformiert mit ehemaliger Wehrmachtsuniform, umgefärbt in dunkelblau. Dieser Mann hatte alle Hände voll zu tun mit der Regulierung des Holzgases.

Darin sahen wir unsere Chance. Wir Buben machten den LKW in diesem Moment um einige Kilogramm leichter, gerade als das Fahrzeug drohte, stehen zu bleiben. Für uns war der vielgelobte und von den deutschen Soldaten verfluchte Holzvergaser zum Glück ein HOLZVERSAGER.

Geschäfte mit den Franzosen

Gegenüber dem Friedrichsbau-Kino befand sich damals das Möbelhaus Scherer. Hier richteten die Franzosen das erste eigene Großkaufhaus ein, das "ECONOMAT". Es gab alles zu kaufen, aber nicht für die Deutschen. Viele, die mit ihren einquartierten Franzosen ein gutes Verhältnis hatten und vielleicht französisch sprachen - und wenn es nur ein paar Brocken waren - hatten die Möglichkeit, an bestimmte Dinge, die es bei uns schon lange nicht mehr gab, heran zu kommen. Franzosen, die über genügend deutsches Geld verfügten, konnten bei den Deutschen kaufen. Später, so meine ich mich erinnern zu können, wurde ein Teil des Soldes in deutschem Geld (Besatzungsmark) ausbezahlt. Es entwickelte sich manches Geschäft mit den Franzosen. Es gab immer noch genügend ehemalige Gegenstände aus dem Heeresbestand der Deutschen, an denen die Franzosen starkes Interesse gezeigt haben. Und wer diese "Dinge" verkaufen konnte gegen "Besatzungsmark", war nach der Währungsreform sofort ein gemachter Mann. Das Besatzungsgeld wurde nämlich nicht abgewertet! Das habe ich erst viel später erfahren.

In bestimmten Autowerkstätten wurden sogenannte "Beutefahrzeuge" von französischen Armeeangehörigen angeliefert, und ich meine mich an Gespräche Erwachsener erinnern zu können, dass daraus Geschäfte für beide Seiten entstanden. So was nannte man "Kriegsgewinn". Und in solch einer Werkstatt entdeckten wir eines Tages Fässer mit stark riechenden Steinen. Es waren Karbitsteine zur Aufbereitung von Schweißgas. Irgendeiner wusste damit umzugehen. Ein Stein, ein paar Tropfen Wasser, eine verschließbare Dose oder noch viel besser, einen großen Eimer mit Deckel und fertig war der "BÖLLER". Da Fastnacht 1946 vor der Tür stand, verfügten wir über Kracher, die wir auch am nächsten Tag auf der Zähringer Burg ausprobierten. Es müssen gewaltige Donnerschläge gewesen sein, weit hörbar, denn bald kamen von allen Seiten Militärfahrzeuge der Franzosen angefahren. Wir hatten sie schon von weitem entdeckt und flüchteten. Am nächsten Morgen stand bei allen Beteiligten die Sicherheitspolizei der Franzosen vor der Tür. Wir sind verraten worden. Aber schließlich erwies sich die Geschichte als harmlos. Wir wollten keinen Angriff starten.

Junge französische Soldaten

Die jungen wehrpflichtigen Franzosen waren in erster Linie in der ehemaligen Schlageter-Kaserne (heute VAUBAN ) kaserniert. Sie waren streng gehalten. Ich glaube, es war ihnen anfangs auch nicht erlaubt, mit der Bevölkerung Kontakt aufzunehmen. Später, als die Dienstvorschriften gelockert wurden, sah man diese "jungen Soldaten" oft in Gruppen die Merzhauser-Basler-Kronen-Straße, Werderring zu Fuß gehen. Sie steuerten meistens das CAFE STOLL, Ecke Bertold-Str. und Werderring an. Ruhig saßen sie zusammen an einem Tisch. Kontakt zu den Deutschen Gästen gab es kaum. Und doch erfuhren wir, dass der Tages-Sold nicht mehr als 50 Pfennige ausmachte. Das reichte damals bestenfalls zu einem kleinen Bier. Das CAFE STOLL befand sich in den Behelfsbauten am Werderring gegenüber dem Stadt-Theater.

Später, in den Jahren 1952/53, gab es im Café Stoll die berühmten Riesen-Tortenstücke, die jetzt auch für die französischen Soldaten erschwinglich wurden.

Empfohlene Zitierweise:
Kohler, Werner: Frühe Franzosenzeit in Freiburg 1945, in: LeMO-Zeitzeugen, Lebendiges Museum Online, Stiftung Haus der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland,
URL: http://www.hdg.de/lemo/zeitzeugen/werner-kohler-fruehe-franzosenzeit-in-freiburg-1945.html


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