Dieser Eintrag wurde von Werner Mork (*1921) im Dezember 2008 in Kronach verfasst. Werner Mork schildert seine Erinnerungen in sechs Beiträgen.
Berufsverbot
Mein Vater war während des NS-Regimes Parteigenosse geworden, weil es als richtig erschien, das zu tun. Nach Kriegsende 1945 hatte er ein Berufsverbot hinnehmen müssen. Er durfte nicht mehr als Gastwirt tätig sein, die neuen Bestimmungen der Siegermächte ließen einen solchen Beruf für einen ehemaligen Parteigenossen nicht zu. Er galt er als belastet und als solcher durfte er keinen Beruf ausüben, der mit der/einer Öffentlichkeit zu tun hatte.
Mein Vater hatte sein Lokal nicht mehr öffnen und auch nicht mehr betreten dürfen, er musste sein Lokal übergeben an einen anderen Gastwirt, der mit seiner Frau das Lokal führen "durfte". Dass er einen langfristigen und rechtlich einwandfreien Vertrag mit dem Hausbesitzer hatte, das hatte keine Bedeutung mehr. Der Vertrag galt nun als nichtig, da gab es nichts einzuklagen, bei wem auch, und wo? Verträge mit einem Nazi galten so gut wie als gegenstandslos. Wenn etwa der Vermieter hätte klagen wollen, dann wäre er in ein übles Licht geraten, weil er damit doch einen Nazi unterstützt hätte - und wer wollte sich dieser Gefahr schon aussetzen, in dieser Zeit. Mein Vater hatte sich also drein zu finden in alles, was an Unheil über ihn gekommen war, und wohl auch noch weiterhin kommen würde.
"Vom Schicksal betrogen"
In seinem Zustand als zukunftsloser und berufsloser Mann fühlte er sich als ein Ausgestoßener, als ein vom Schicksal betrogener Mann, der jetzt nur noch die eine Überzeugung hatte, dass er am Ende seines Daseins angekommen sei, dass das weitere Leben nicht mehr eine lebensfähige Existenz bieten könne, dass es keine Besserung, keinen Neuanfang für ihn jemals wieder geben würde, dass es nur die eine Konsequenz für ihn gibt, mit dem Leben Schluss zu machen. In einem sehr langen Gespräch habe ich versucht, meinem Vater neuen Lebensmut "einzureden", trotzdem mir selber nicht nach einem solchen Mut zu Mute war. Es gelang mir dann aber doch, ihn von seinen schlimmsten Gedanken abzubringen. Nur konnten Vater und Sohn nicht ahnen, dass es für meinen Vater keinen neuen Weg zu einem neuen Aufstieg geben würde. Er kam nicht mehr nach oben, er blieb unten, er war und blieb ein armer Mann, der dann als Rentner mit einer Mini-Rente leben musste.
Meinen Vater quälte sehr, dass er seinerzeit dem Drängen von Heinrich Hillman, dem NS-Ortsgruppenleiter von Aumund nachgegeben hatte und PG geworden war. Nun war er belastet und deswegen zwangsverpflichtet worden und musste dort, wo er einmal als Vorarbeiter und als Mann der Gewerkschaft als Vertrauensmann gearbeitet hatte, auf dem Gelände der altvertrauten Werft, dem Bremer Vulkan, als Lagerarbeiter für die Amis arbeiten. Die Amerikaner unterhielten auf dem Gelände ein großes Depot, und sie hatten die "Ex-Nazis" zum Arbeiten dahin verpflichtet. Das war schon bedrückend, auch wenn es ab und zu möglich war, beim illegalen Tauschhandel mit den Amis etwas Rauchbares oder etwas Essbares einzutauschen.
Warten auf die "Entnazifizierung"
Als Belasteter musste mein Vater auf die "Entnazifizierung" warten, die als ein Gesetz der Besatzungsmächte angeordnet worden war und die Ex-Nazis entweder entnazifizieren konnte oder weiterhin als Belastete einstufte, die ihnen untergeordnete Arbeit zuweisen und auch Strafen verhängen konnte, wie z.B. Einweisung in ein Lager auf bestimmte Zeit. Die Mitglieder der Spruchkammern, wie die dafür geschaffenen Einrichtungen genannt wurden, waren von den Besatzern dazu eingesetzte Deutsche, die nun als (angebliche) Anti-Nazis über die Ex-Nazis zu Gericht saßen. Diese schon reichlich sonderbare Einrichtung hat nicht viel Gutes vollbracht. Sie wurden dann eines Tages wieder eingestellt und die "bösen" Ex-Nazis wurden wieder vollkommen normale Menschen, gute Bürger der Bundesrepublik.
Jetzt war 1945, das Jahr, in dem nun alles zerstört war, nicht nur das Deutsche Reich, nicht nur das Leben der meisten Menschen, die in diesem Reich gelebt hatten, nicht nur das Hab und Gut der Menschen, die im Bombenkrieg oder als Vertriebene, als Flüchtlinge nur das nackte Leben hatten retten können. Auch das persönliche und berufliche Leben vieler "Ex-Volksgenossen" war zerstört, auch das der Morks. Es gab keine Existenz mehr, keine Aussicht auf eine mögliche bessere Zukunft. Mutlos waren wir alle in dieser Zeit, und mein Vater ganz besonders, weil er doch nun alleine vor diesem Scherbenhaufen stand.
Wut
Nach dem langen und schwierigen Gespräch machte ich mich wieder auf den Weg, um zurück zu meiner Wohnung in Lesum zu radeln. Sehr wohl war mir nicht dabei, ich war von sehr bangen Gefühlen erfüllt, aber auch von einer unbändigen Wut über die Menschen, die dieses Elend über uns gebracht hatten. Allerdings musste ich dabei aber auch daran denken, dass auch wir, die "anderen" Menschen doch nicht ganz ohne Schuld waren an dem, was wir nun alle zu tragen hatten. Auch mein Vater und auch ich! Wir alle waren doch dem "Neuen Geist" verfallen, damals, nach 1933. Wir alle waren doch überzeugte Anhänger des Mannes geworden, der sich nun aus dem Leben selber verabschiedet hatte. Wir alle waren doch bereit gewesen, ihm und dem Nationalsozialismus zu folgen und unser Leben dafür zu geben. Wenn wir, die einfachen Menschen auch nicht den Krieg angefangen hatten, so hatten wir doch mit unserem Mitmachen, mit unserem Verhalten, mit unserer Begeisterung, mit unserem nationalen Tun und Schreien entscheidend dazu beigetragen, dass der "Führer" Adolf Hitler ungehindert das tun konnte, was in seiner Endphase zu grenzenloser Not, zu einem Elend sondergleichen, dem Zusammenbruch der Nation und aller einstmals herrschenden Werte geführt hatte. Die Überlebenden dieses grauenhaften Desasters mussten nun mit dem fertig werden, was der "Deutsche Geist", der Nationalsozialismus an Unheil hinterlassen hatte, ein Unheil, das nicht nur Deutschland betroffen hatte.
Zur Person
Werner Mork wird am 3. Juli 1921 in Vegesack (Bremen) geboren. Er besucht die Volksschule. Der Besuch des Realgymnasiums bleibt ihm nach eigener Aussage aufgrund der gewerkschaftlichen Tätigkeiten seines Vaters verwehrt. Werner Mork macht eine Ausbildung zum Radioverkäufer. Ab 1940 leistet er Arbeitsdienst in Worpswede, anschließend ist er beim Militär in Hannover. Nach dem Zweiten Weltkrieg macht er sich mit einem Radiogeschäft selbstständig. Immer wieder ist er durch Krankheit beeinträchtigt. In den 1960er Jahren zieht er nach Kronach (Bayern), um dort bei Loewe zu arbeiten und geht schließlich im Alter von 63 Jahren in Rente.
Empfohlene Zitierweise:
Mork, Werner: Der Ex-Parteigenosse und ich, sein Sohn, in: LeMO-Zeitzeugen, Stiftung Haus der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland, URL: http://www.hdg.de/lemo/zeitzeugen/werner-mork-der-ex-parteigenosse-und-ich-sein-sohn.html
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