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Heinz Beck: Mit 40 Musikstudenten der Dresdner Hochschule nach Hessen

Dieser Beitrag wurde von Heinz Beck (*1920) aus Dresden verfasst.

Mit 40 Musikstudenten der Dresdner Hochschule nach Hessen

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Lieber ein Jahr verhandeln als einen Tag Krieg

Es war für die damalige Zeit - Mitte der fünfziger Jahre - ungewöhnlich, eine Woche zu Konzertveranstaltungen von Dresden aus in den Westen zu reisen. Uns war dies vergönnt, wir freuten uns darüber, entsprechend groß waren die Erwartungen. Die vierzig Reisenden waren Orchestermusiker und Sänger, dazu noch vier begleitende Lehrkräfte, ein Bus mit Anhänger für die Instrumente und ein kleiner Einsatzwagen. So fuhr unsere Spieltruppe zum Zielort Wetzlar an der Lahn. Der Grundgedanke, dem unser Einsatz dienen sollte lautete: Überall dort unser musikalisches Können darbieten, wo offene Ohren für Musik und Gesang sowie für die Gestaltung eines demokratischen Deutschlands vorhanden sind. Zu dieser Zeit, also Mitte der 50er Jahre, bestand in Deutschland eine eigenartige Situation: Zum einen das Kräftestreben der NATO-Interessen, andererseits jene Kräfte des Ostens in ihrem Bemühen, ihre Position zu festigen und durch eine Volksbefragung die Sicherung des Friedens zu erreichen und zu verhindern, dass Deutschland in ein militärisches Paktsystem einbezogen wird. Den sichtbaren Ausdruck dieser polaren Gegensätze widerspiegelte besonders die Außenministerkonferenz der "Großen Vier" 1954 in Berlin. Im Fühlen und Denken der Deutschen gab es beiderseits unseres Landes pazifistisches Denken, dem auch unser Einsatz in Hessen dienen sollte. Wir glaubten, daß auch die Kunst und Kultur dem National- und Friedensgedanken dienen könnte.

Erstes Konzert in Wetzlar

Für unser erstes Konzert in Wetzlar fanden wir keinen würdigen Saal, vielmehr nur ein Vereinszimmer in einem Lokal am Rande der Stadt. So konnten unsere engagierten jungen Künstler nicht alle auftreten. Leider verliefen danach auch die weiteren Einsätze oft in ähnlicher Weise, so auch in Limburg. Aber auch die Staatsmacht in Form der Polizei bereitete uns manche Schwierigkeiten, dabei ergaben sich aber aus unseren Darbietungen keinerlei Anlässe dazu. Vielmehr mußten wir erkennen, daß wir eben aus dem Osten waren, mit denen offiziell noch nichts geklärt war. Doch wir hatten auch Anlaß, daß unsere Erwartungen stiegen. Denn der damalige Bundesvorsitzende der SPD, Erich Ollenhauer, hatte eine Wahlkundgebung seiner Partei in der Stadthalle von Wetzlar angekündigt. Sein aktuelles Thema lautete: "Lieber ein Jahr verhandeln als einen Tag Krieg". Wir waren voller Spannung, zumal das Hauptanliegen seiner zündenden Ausführungen dem gespaltenen Deutschland galt. Ehe Ollenhauer jedoch zu Wort kam, stimmte eine Gruppe der "Stadtpfeifer" mit Flöten und Trommeln die Anwesenden im überfüllten Saal fröstelnd ein, das Gebotene war erbarmungswürdig! Welch eine verpaßte Gelegenheit für einen Einsatz unsererseits! Die Ausführungen Ollenhauers entsprachen der Themenstellung, doch uns berührten sehr eigenartig seine sich wiederholenden Worte von den "Brüdern und Schwestern" die auf die Heimholung warten würden. Nach dem Ende dieser Wahlveranstaltung fand ich Gelegenheit zu einer Aussprache mit dem Redner. Dabei unterbreitete ich im Namen unserer Gruppe Herrn Ollenhauer den Vorschlag, uns in den nächsten zehn Tagen bei seinen Kundgebungen mit einzubeziehen und dadurch für seine Ausführungen einen würdigen Rahmen zu finden und gleichzeitig unserem nationalen Anliegen zu nutzen. Doch unser Angebot war für ihn indiskutabel. Seine Antwort lautete: "Fahren Sie nach Frankfurt in das Parteibüro und lassen Sie dort Ihr Anliegen entscheiden." Damit hatte der Vorsitzende dieser Volkspartei seine "Brüder und Schwestern" aus dem Osten mit wenigen Worten abgetan und führte seine Wahlkampfreden bundesweit nach gleichem Muster weiter.

“Gruß aus Dresden“

Ein anderes, unsere Gruppe sehr bewegendes Ereignis, bot uns die "Wetzlarer Tageszeitung". In ihren Schaukästen war u.a. ein ungewöhnlich breites Foto veröffentlicht mit dem Titel "Gruß aus Dresden". Darauf waren drei Sowjetsoldaten abgebildet, die eine Frau mittleren Alters gewalttätig zu Boden zerrten. Die Frage nach dem gezeigten Ort in unserer Stadt wurde von unseren Studenten negativ bewertet. Nun bestürmte ich den Chefredakteur dieser Zeitung, der mich sofort mit der Gegenfrage konterte, ob wir den Namen des Fotografen gelesen hätten. Ich bestätigte dies, es handelte sich um eine Aufnahme eines USA-Nachrichtenmagazins. Der Redakteur erläuterte mir den "demokratischen" Sachverhalt: Bei Nennung des jeweiligen Fotografens bzw. der Institution und der fünffachen Zahlung des üblichen Preises entgeht die Zeitung der juristischen Verantwortung für die Veröffentlichung eines solchen Machwerkes, es wechselt de jure auf die Person des Einsenders. Darüber war ich sehr überrascht und zugleich ließ man mich wissen, daß man im Pressehaus dieses Foto ebenfalls für ein Propaganda-Machwerk ansah. Solche und weitere Lügenstücke wurden uns im Laufe unseres Aufenthaltes bekannt und veranschaulichten den Charakter dieses Systems "demokratischer Freiheiten".

“viel Gesprächsstoff

Nach unserer gemeinsamen Rückkehr nach Dresden hatten wir unserer Hochschule für Musik "Carl-Maria-von-Weber" viel Gesprächsstoff. Wir konnten Positives berichten, vor allem über Gespräche mit einfachen Menschen und deren Herzlichkeit, mußten uns aber auch eingestehen, daß unser Vorhaben zu geringe Unterstützung seitens der zuständigen Stellen erhielt, und dadurch die Möglichkeit der Annäherung durch Kunst und Kultur verspielt wurde.

Empfohlene Zitierweise:
Beck, Heinz: Mit 40 Musikstudenten der Dresdner Hochschule nach Hessen. Oder: Lieber ein Jahr verhandeln als einen Tag Krieg, in: LeMO-Zeitzeugen, Lebendiges Museum Online, Stiftung Haus der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland,
URL: http://www.hdg.de/lemo/zeitzeugen/heinz-beck.html


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