Dieser Beitrag wurde von Manfred Bresler (*1932) aus Frankfurt im Jahr 2000 verfasst.
WM-Feier in Kaiserlautern
Mitte der fünfziger Jahre wohnte ich in Kaiserslautern, wo ich mit der ganzen Stadt den Gewinn der Fußballweltmeisterschaft 1954 in Bern feiern durfte.
Damals spielte ja aus Sicht der Kaiserslauterer in Bern keine Nationalmannschaft, nein, es war der "verstärkte" FCK, der dort kämpfte; der Trainer, Sepp Herberger, wohnte ja nur in einem Vorort von Lautern in Mannheim!! Also, die ganzen Vorspiele, auch die Niederlage gegen Ungarn beim ersten Zusammentreffen beider Mannschaften, wurden noch in gemäßigter Stimmungslage verdaut. Als sich aber abzeichnete, daß wir ins Endspiel kommen, begann der Run auf Plätze in Lokalen, die einen Fernseher hatten, was damals nicht überall üblich war!! Ich hatte Glück, daß ein Arbeitskollege im Gasthaus zur Post als Aushilfskellner half und mich einließ. Sitzplätze gab es schon nicht mehr, zum Glück stand der Fernseher hoch, man konnte anfangs noch was sehen. Hören war nicht möglich, jeder Spielzug wurde nicht kommentiert, sondern bis nach Bern durchgeschrieen, ohne Telefon versteht sich.
So verging die erste Halbzeit, beim Anpfiff der zweiten Halbzeit und beim Torausgleich saß niemand mehr auf den Stühlen, alles stand, alles schrie durcheinander. Als aber kurz vor Spielschluß das Siegestor fiel, war das Tohawabohu perfekt. Alles stand auf den Tischen, alle schrieen, keiner sah mehr ein nicht mehr gültiges Ungarntor, nur noch den Schlußpfiff, und dann gabs kein Halten mehr: Wildfremde Menschen fielen sich um den Hals und weinten, aus allen Häusern quollen Menschentrauben heraus und schrieen und lachten und freuten sich. Es war wirklich, als hätte der "verstärkte" FCK die Weltmeisterschaft gewonnen.
Spieler-Empfang am Bahnhof
Ein paar Tage später wurden die Spieler am Bahnhof abgeholt, der örtliche VW-Händler hatte für jeden Spieler ein schwarzes Cabriolet geschmückt am Bahnhof abgestellt, ich war in der Nähe des Bahnhofs - zum Glück!! Vom Bahnhof bis zur Logenstraße, wo ich stand, brauchte die Karawane fast eine Stunde für einen Weg von ca. 300 Meter!! Die Stadt war so voller Menschen, daß auch die Polizei machtlos war.
Fritz Walter vorneweg, dann sein Bruder "Ottes", der "dicke" Kohlmaier, der "rote" Liebrich und der "kleine" Eckel, so versuchten sie durch die Menge zu kommen, es ging sehr langsam, jeder wollte ihnen die Hände schütteln, sie umarmen oder auf die Schultern klopfen - und ich mittendrin - Herrliches Gefühl!! Zum Glück sind in Kaiserslautern die meisten Straßen schmal, ich konnte allen ins Auge sehen und erinnere mich noch gut an die Tränen beim Fritz!!
Noch keine Stars
Diese Leute waren damals nie diese Stars, die man heute aus ihnen macht. Die Eltern der Brüder Walter hatten ein Weinlokal, in dem wohl kräftig über Fußball diskutiert wurde, aber wehe, wenn einer fanatisch wurde, der saß schnell auf der Straße. Dem Fritz bin ich oft im Pfaffbad begegnet, damals hatte eben nicht jeder ein Bad daheim, auf einen freundlichen Gruß kam eine ebenso freundliche Antwort, kein Dünkel, nichts!! Beim Ottes konnte man tanken und das wurde dann, als ein Auto da war, auch gemacht. Beim Liebrich in der Eisenbahnstraße holte man Zeitungen und spielte Lotto, da flog schon mal ein Witz durch den Laden - man kannte sich ja!! Der Eckel arbeitete in der Abteilung neben mir bei Pfaff, einer von uns!! Und der Kohlmaier saß im Büro der Fabrik, in der meine Frau arbeitete. Alles ganz normale, nein, aus heutiger Sicht angenehm normale Leute! Das war eine schöne Zeit damals - in Lautre!!
Heute trägt mein Auto die Zulassung F-CK 454, damit es die Leute auch glauben, hängt ein roter Teufel drin und auch auf dem Sonnenschutz ist sehr deutlich der "Brennende Betze" zu sehen. Wer ein Spiel auf dem Betzenberg erlebt, zittert noch Tage danach, ein Tor dort und Sie befürchten, daß die Glasverkleidung platzt!!
Zur Person
Manfred Bresler wird am 13. Februar 1932 in Breslau, im heutigen Polen, geboren. Er besucht bis Dezember 1944 Volksschule und Mittelschule, bevor er zu Verwandten in ländlicheres Gebiet (Kreis Oels) geschickt wird. Am 20. Januar 1945 flüchtet er von dort mit einem Treck vor der näher rückenden Roten Armee. Er gelangt in (heute) tschechisches Gebiet, wo er im Dorf Zwolln (heute: Stvolny) untergebracht wird. Zum Sommerende 1945 wird er aus der CSSR ausgewiesen, fährt nach Dresden und dann nach Erfurt. Mit anderen Flüchtlingen wird er auf die umliegenden Dörfer verteilt und kommt nach Büßleben. Dort macht er seinen Schulabschluss. Bresler findet seine Mutter wieder und wird Schmied. Er arbeitet als Facharbeiter in Erfurt-Nord im Maschinenbau. Sein Vater kehrt zwischenzeitlich aus russischer Kriegsgefangenschaft zurück. Weil Bresler seinem Beruf nicht selbstbestimmt nachgehen kann, flüchtet er aus der Sowjetischen Besatzungszone nach Westberlin. Er lebt dort im Flüchtlingslager und arbeitet als Fahrradkurier, bevor er verschiedene Aufnahmelager in Westdeutschland durchläuft und schließlich in Kaiserslautern bleiben kann. Dort macht er einen zweiten Gesellenbrief, da seiner in Westdeutschland nicht anerkannt wird. Bresler arbeitet daraufhin in der Nähmaschinen-Fabrik Pfaff. Er heiratet und engagiert sich bei den Jungsozialisten. 1959 besucht er Israel und bleibt dort für zwei Jahre mit seiner Frau. Wieder zurück in Deutschland bekommt das Ehepaar eine Tochter. Bresler arbeitet als Schlosser in den Eisenwerken in Kaiserslautern und dann als Beamter im hessischen Strafvollzug. Heute lebt er als Pensionär in Frankfurt.
Empfohlene Zitierweise:
Bresler, Manfred: Fußballweltmeisterschaft 1954, in: LeMO-Zeitzeugen, Lebendiges Museum Online, Stiftung Haus der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland,
URL: /lemo/zeitzeugen/manfred-bresler-fussball-wm-1954.html
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