Zeitzeugen > Nachkriegsjahre

Robert Gehrmann: Kriegsgefangenenlager Dwjri a.d. Kura

Dieser Beitrag wurde von Robert Gehrmann verfasst.

Strapazenreiche Fahrt ins Kriegsgefangenenlager

Mitte März 1946 wurden 1.200 deutsche Kriegsgefangene vom Lager Breslau-Hundsfeld in Güterwaggons verfrachtet. Nach einer strapazenreichen Fahrt über Warschau, Brest, Pinsk, Gomel‚ Charkow, Rostow, Pjatigorsk, Machatschkala am Kaspischen Meer, Derbent, Baku, Tiflis, Gori, Borschom erreichten sie am 20. April 1946 den kleinen Ort Dwiri a.d.Kura in Georgien, etwa 30 km von der türkischen Grenze entfernt. Dort bezogen sie ein Lager, welches ab 1945 mit deutschen Zivilgefangenen aus Oberschlesien belegt war. Diese hatten im Nachbarort Kwabischewi ein neues Lager bezogen. Bei diesen Zivilgefangenen waren Jugendliche ab 14 und Männer bis über 70 Jahre. Von ihnen starben bis Anfang 1946 viele. Sie wurden hinterm Lagerzaun beigesetzt.

Nach einer vierwöchigen Quarantäne wurden die deutschen Kriegsgefangenen in verschiedene Arbeitsgruppen, sogenannte "Brigaden" eingeteilt. Im Raume Dwiri wurde ein neues Kraftwerk gebaut. Dazu wurde bei Kwabischewi auch mit Hilfe der deutschen Zivilgefangenen in die Kura eine Schleusenanlage eingebaut. Von dort sollte das Wasser der Kura durch einen Kanal und einen Stollen zum sogenannten "3. Bezirk" zu den stromerzeugenden Turbinen geleitet werden.

Verpflegung

Gegenüber der Verpflegung im Lager Breslau-Hundsfeld, gab es in Dwiri schon etwas mehr zu essen. Statt bisher nur einmal Suppe und Brot am Tag, gab es nun in der Frühe und mittags je einen dreiviertel Liter Suppe und abends einen halben Liter Suppe. Dazu gab es täglich 670 Gramm Brot, 70 Gramm Salzfisch, 17 Gramm Zucker und 5 Gramm Tabak. Bei der Arbeitseinteilung wurde den Kriegsgefangenen nun erklärt: "Wenn ihr Eure Arbeitsnorm von 100% übererfüllt, erhaltet Ihr pro Tag zusätzlich 300 Gramm Brot und vier Gramm Zucker. Obendrein könnt Ihr dabei noch Rubel verdienen. "Für die Erdarbeiter waren diese hohen Arbeitsnormen mit dem primitiven Werkzeug gar nicht zu erfüllen. Besser standen sich die Gefangenen, die in ihrem erlernten Beruf als sogenannte "Spezialisten" arbeiten konnten. Manche verdienten dabei über 1.000 Rubel. Von diesem Geld wurden Steuern und monatlich 456 Rubel für das Lager einbehalten. Von dem Rest bekam der Gefangene monatlich bis zu 150 Rubel ausbezahlt und das übrige kam auf ein Bankkonto. Dieses Konto wurde dem Gefangenen bei seiner Entlassung ausbezahlt. Er konnte sich dafür alles Mögliche kaufen. Die Rubel mußten aber bis zur russischen Grenze verbraucht werden.

Kriegsgefangenen-Postkarten des Roten Kreuzes

Im September 1946 wurde den Kriegsgefangenen im Lager Dwiri eine doppelte Postkarte ausgehändigt. Zum 1.Mal konnten sie nun in der russischen Kriegsgefangenschaft offiziell 25 Worte an die Angehörigen in der Heimat schreiben. Die obere Postkarte benutzte der Kriegsgefangene und die untere trennten die Angehörigen ab und schickten sie beschrieben zurück. Die Lageranschrift lautete zuerst: S.S.S.R. Moskau - Rotes Kreuz - Postkasten 236/11. Ab April 1946 hieß es: Lager 7236/11 und ab August 1947: Lager 7236/6. Diese Nummer behielt es bis zu seiner Auflösung am 22.Dezember 1949.

Ab Februar 1947 konnte man alle drei Monate einen zweiseitigen Brief schreiben. Ab Juli 1947 durften die monatlichen Postkarten mit 40 Worten und ab 1948 voll beschrieben werden. Teilweise wurde in den Brigaden in Wechselschicht bei einer Arbeitszeit von acht Stunden gearbeitet. Normal war sonntags arbeitsfrei. Nur wenn ein Monat fünf Sonntage hatte, mußte davon an einem Sonntag gearbeitet werden.

Kultur im Lager

Im Lager bildeten sich ein Orchester und eine Künstlergruppe, die fast jeden Sonntag ein Programm auf der Lagerbühne darboten. Etwa ab Sommer 1947 konnte man sonntags mit einem Wachposten spazieren gehen oder abends um 21 Uhr in Dwiri das Kino besuchen. Die Einheimischen bezahlten drei Rubel Eintritt und die Gefangenen nur anderthalb Rubel. Einige Gefangene, die bei den russischen Offizieren eine Sonderstellung hatten, besaßen einen Ausweis. Sie konnten ohne Bewachung das Lager verlassen.

Ab Sommer 1947 konnte man sich im Lager vom Lagerschreiber Hans Wiedmann für drei Rubel fotografieren lassen. Die Bilder wurden an die Postkarte angenäht und so nach Hause geschickt, wo sie auch ankamen.

Empfohlene Zitierweise:
Gehrmann, Robert: Kriegsgefangenenlager Dwjri a.d. Kura (Süd-Kaukasus/Georgien), in: LeMO-Zeitzeugen, Lebendiges Museum Online, Stiftung Haus der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland,
URL: http://www.hdg.de/lemo/zeitzeugen/robert-gehrmann.html
Zuletzt besucht am: 19.04.2024

lo