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Erika Rosenberg: Meine Freundschaft zu Emilie Schindler

Dieser Eintrag wurde von Erika Rosenberg (*1951) im Jahr 2005 in Buenos Aires verfasst.

Meine Freundschaft zu Emilie Schindler

Ganz zufällig kam ich zu Emilie Schindler im Jahre 1990. Den Tag werde ich nie vergessen können. Als ich ihre Diele zum ersten Mal am 22. Juni des obengenannten Jahres betrat und meine Augen ihren begegneten, verwandelte sich für immer mein Leben. Ihre raue Stimme, ihre Hände, ihr Antlitz, ihr kränkliches Körperchen hatten in sich eine Kraft, die ich sehr selten vorher gesehen hatte.

Ihr bescheidenes Wohnzimmer mit den kahlen Wänden und alten Möbeln strahlten für mich in den folgenden elf Jahren unserer Freundschaft viel Wärme aus. Sie wurden allmählich mein Zuhause, das ruhige Ufer, von dem ich lange und rastlose Jahre geträumt hatte.

“Trägerin einer Geschichte“

Auf Anhieb haben wir uns verstanden. Sie war für mich die Trägerin einer Geschichte, von der meine Eltern nie getraut hatten, mir zu erzählen. Emilie war eine Art Ersatzmutter, eine alte Großmutter, der der Zweite Weltkrieg vieles weggenommen hatte. Ich war eine Tochter, deren Eltern nicht mehr lebten, und ich wurde im Schoß einer Familie groß, die auch der Religion wegen in der Zeit des Nationalsozialismus verfolgt und ausgerottet wurde.

Mit der Zeit wurden wir eins. Emilie erzählte und erzählte und ich schrieb alles auf. Ich dachte ständig an die Wichtigkeit der Überlieferung der Schindler-Geschichte. Eine Geschichte ohne maskierte Helden. Eine Geschichte, wo die wahren Helden unbesungen sind.

“Versöhnung unter Völkern möglich“

Das Schicksal hatte uns beide nahe gebracht. Einerseits standen sie, Emilie und Oskar, die Judenretter in einer trostlosen Zeit, andererseits stand ich die Tochter deutscher Juden und wir sollten erweisen, daß die Versöhnung unter Völkern möglich ist. Und wir haben es getan!

Emilie war eine mutige, couragierte und heldenhafte Frau, die zusammen mit ihrem Ehemann Oskar bereit war, ihr Leben aufs Spiel zu setzen um Menschenleben zu retten. Beide lebten und handelten nach dem biblischen Konzept im Talmud, und dies war das Tugendhafte:

"Wer ein Menschenleben rettet, rettet die ganze Welt".

Erika Rosenberg ist Herausgeberin mehrerer Bücher zur Thematik:

Erika Rosenberg (Hrsg.): Ich, Emilie Schindler. Erinnerungen einer Unbeugsamen, Herbig Verlag München 2001 (ISBN 3-7766-2230-X)

Erika Rosenberg (Hrsg.): Ich, Oskar Schindler. Die persönlichen Aufzeichnungen, Briefe und Dokumente, Herbig Verlag München 2001 (ISBN 3-7766-2204-0)

Zur Person

Erika Rosenberg-Band wird am 24. Juni 1951 in Buenos Aires, Argentinien geboren. Ihre Eltern, deutsche Juden, sind vor dem NS-Regime dorthin geflohen. In Argentinien, Deutschland und England studiert sie Literatur, Sprachen, Geschichte und Pädagogik. 1990 lernt sie Emilie Schindler, Oskar Schindlers Ehefrau, durch ein Interview für die Deutsche Welle kennen. Erika Rosenberg-Band verfasst daraufhin mehrere Bücher über sie und Oskar Schindler. Sie arbeitet bis 2010 als Dozentin am Goethe-Institut in Buenos Aires, bis 2011 an der Päpstlichen Katholischen Universität Buenos Aires von Argentinien und bildet aktuell zukünftige Diplomaten des Auswärtigen Amtes in Argentinien fort. Des Weiteren arbeitet sie als Schriftstellerin, Übersetzerin und Journalistin.

Empfohlene Zitierweise:
Rosenberg, Erika: Meine Freundschaft zu Emilie Schindler, in: LeMO-Zeitzeugen, Lebendiges Museum Online, Stiftung Haus der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland,
URL: http://www.hdg.de/lemo/zeitzeugen/erika-rosenberg-freundschaft-zu-emilie-schindler.html
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