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Sigrid Otto: Lehrerin in der sowjetischen Besatzungszone

Dieser Beitrag stammt von Sigrid Otto (1925-2014) aus Leonberg

Eine Wende erhielt mein Leben durch den Mai [1945] eingesetzten kommunistischen Bürgermeister, der nicht weit von unserem Haus wohnte und unsere Familie kannte. Die russische Besatzung hatte die Schule mit Zerstörungen, Beschädigungen und Schmutz verlassen. Im Juni fragte er mich, ob ich beim Aufräumen helfen könnte. Einen Schulbetrieb gab es in diesem Sommer noch nicht, aber dieser Bürgermeister setzte durch, dass die Kinder von 6 bis 10 Jahren auf dem Sportplatz beschäftigt werden durften, im Gemeindesaal konnten wir Betreuer mit ihnen singen. So begann ich mein Lehrerindasein, ohne einen Pfennig Geld zu erhalten.

Ausbildung für Neulehrer

Da fast alle Lehrer der Nazizeit in der NSDAP waren, wurden sie entlassen und man begann Anfang Januar 1946 eine achtmonatige Ausbildung für Neulehrer. Durch meinen Einsatz im Sommer wurde mir gestattet, diese Ausbildung in der Oberschule Rochlitz zu beginnen. Gleichzeitig aber holten Kriegsheimkehrer das Abitur nach, auch Schüler und Schülerinnen von einer Klasse unter mir waren dabei. Sie alle hatten kein Kriegsabitur. Mir war unklar, ob ich mit meinem Abschlusszeugnis jemals studieren könnte, also bat ich um Aufnahme in diese Klasse und nahm morgens an der Abiturvorbereitung teil, nachmittags an der Neulehrerausbildung. Am 17. Juli 1946 bestand ich das Abitur, wenige Wochen später war die Neulehrerausbildung zu Ende. Anfang September stand ich schon als Lehrerin vor einem 1. Schuljahr. Der Leiter unserer Ausbildung wurde Schulleiter an der Zentralschule in Lunzenau. Viele der Ausgebildeten kamen dahin, so auch meine Freundin und ich aus dem benachbarten Wechselburg. Es gab nur noch einen alten studierten Lehrer. Das war ein schwerer Anfang, wir hatten viele Ideen und hielten gut zusammen. Schüler und Eltern waren über den Schulbeginn von Herzen froh.

Rückschlag

Im Herbst dieses Jahres teilte mir der Schulleiter mit, dass mein Bleiben an der Schule ungewiss sei, weil mein Vater auch Lehrer mit Parteizugehörigkeit war. Bei der Entnazifizierung konnte aber nichts festgestellt werden, was mir geschadet hätte. Leider gab es für mich einen kleinen Rückschlag. Wir wurden ja ab und zu überprüft und ich erhielt eine Beurteilung, in der zu lesen war, ich sei zu gutmütig und ließe den Kindern zu viel Freiheit. Es fehle eine strenge Unterrichtsgestaltung. Kindergärtnerin solle ich werden. Das wollte ich mir nicht ein zweites Mal sagen lassen und begann mich zu ändern. Ordnung war uns allen vorgeschrieben. Mit dem Klingeln zur Stunde musste man den Unterrichtsraum betreten und sofort mit den Kindern arbeiten. Es war schwierig, die Kinder zur Ruhe zu bringen. In diesem ersten Lehrjahr litt ich sehr an Hunger. Die Lebensmittelmarken waren geringer als im Krieg. Alle Kinder bekamen als Schulspeisung täglich ein Roggenbrötchen, wir Lehrer nichts, durften auch die Brötchen von Erkrankten nicht verspeisen.

Zur Person

Sigrid Otto wird 1925 in Mittelsachsen geboren. Ab Januar 1946 absolviert sie an der Oberschule in Rochlitz eine achtmonatige Ausbildung für Neulehrer. Parallel dazu holt sie ihr Abitur nach. Anschließend unterrichtet sie an der Zentralschule in Lunzenau. Da sie sich in der DDR politischen Repressionen ausgesetzt sieht, flieht sie 1952 über West-Berlin in die Bundesrepublik. Auch dort ist sie weiterhin als Lehrerin tätig. Von 1975 bis zu ihrem Eintritt in den Ruhestand ist sie stellvertretende Schulleiterin an der Gerhart-Hauptmann-Realschule in Leonberg. Dort lebt sie bis zu ihrem Tod im Januar 2014. Im LeMO erzählt sie von ihrem Berufsweg in der DDR und ihrer Flucht in die Bundesrepublik.

Empfohlene Zitierweise:
Otto, Sigrid: Lehrerin in der sowjetischen Besatzungszone, in: LeMO-Zeitzeugen, Lebendiges Museum Online, Stiftung Haus der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland,
URL: www.hdg.de/lemo/zeitzeugen/sigrid-otto-lehrerin-in-der-sbz.html
Zuletzt besucht am: 28.03.2024

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