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Werner Mork: 1945: Den Krieg überlebt. Doch was nun?

Dieser Eintrag wurde von Werner Mork (*1921) im Dezember 2008 in Kronach verfasst. Werner Mork schildert seine Erinnerungen in sechs Beiträgen.

Nach meiner Gefangenschaft

Nach meiner Gefangenschaft war der Krieg im Juli 1945 auch für mich zu Ende, jetzt musste und wollte ich endlich mein eigenes Leben aufbauen, ohne aber zu wissen, wie das aussehen sollte in dieser völlig perspektivlosen Zeit, die ohne Aussichten war auf eine wieder lebenswerte Zukunft. Ich stand vor einem totalen Nichts. Alle einmal geträumten Vorstellungen über die eigene Zukunft waren nicht im Geringsten mehr existent, somit nicht mehr zu realisieren. Der Krieg war zwar von mir überlebt worden, ob aber der nun endlich "ausgebrochene" Frieden wirklich ein friedvolles Leben bringen wird, oder ob der nicht eine Fortsetzung des Kriegs-Elends ist und nun zu einem Friedens-Elend wird, in dem uns Überlebenden nur eine Art von Vegetieren ermöglicht wird, das war eine Ungewissheit, die nicht nur mir zu schaffen machte. Mir fehlten Kraft und Mut für den notwendigen Auftrieb, mit dem der Neuanfang in einem positiven Sinn zu meistern wäre. Meine Jugend hatte ich im Krieg gelassen, ich war krank und ausgebrannt und wusste nicht, wie ich aus dem Zustand wieder herauskommen sollte. Mein einstiger Idealismus war zerstört worden, mein einstiger Glaube an Führer und Vaterland war mir gründlich abhandengekommen. Der Krieg hatte mich zu einem anderen Menschen gemacht, der aber jetzt völlig verzweifelt war. Ich wusste nicht, wie ich nun leben sollte, jetzt, ohne einen Halt, ohne eine Stütze, in einer Welt, die so ganz anders war, als zu der Zeit, in der ich 1940 freiwillig Landser geworden war. Ich war ein Angehöriger der jungen Generation, die sich hintergangen und missbraucht fühlte von einem Staat und seinem Regime, dem wir, die Jugend einmal völlig vertraut hatte, dem wir, mit unserem Leben dienen wollten zum Wohle unseres Vaterlandes. Alles war zerstört, alles war in uns gestorben, wir waren leer, ausgebrannt, und wir, die wir überlebt hatten, fragten uns nach dem Sinn dieses Überlebens, dem wir keinen Sinn mehr abgewinnen konnten, weil wir keine sinnvolle und noch lebenswerte Zukunft erkennen konnten.

Keine Hoffnung

Für mich gab es keine Hoffnung mehr auf ein glückliches und erfülltes Leben, außer der einen, dass ich Halt finden könne und würde in meiner Ehe, auch wenn ich nicht wusste, wie sich das nun ergeben würde, wie ich denn überhaupt eine Ehe führen könne in dieser Zeit. Ich hatte doch als Ehemann nichts an materiellen Dingen zu bieten, die doch erforderlich waren, um eine Ehe gut und sicher zu gestalten. Keine Existenz, kein Einkommen und derzeit keine beruflichen Aussichten. Ich sollte und musste nun eine Verantwortung übernehmen, die ich noch nie hatte tragen müssen. Im Krieg waren wir/ich in den ganzen Jahren "geleitet und geführt" worden, andere bestimmten was zu tun und zu lassen war. Ich, der einfache Landser hatte dabei nur zu parieren und gegebenenfalls mein Leben für das Vaterland zu "opfern". Nun war das alles anders, nun war ich nicht mehr für mich, sondern für eine Familie verantwortlich und wusste nicht, was ich zu tun hatte. Auch dabei stand ich vor einem Nichts, einem Nichts an Erfahrung und Lebenskenntnis.

Es gab keinen Menschen, der das junge Ehepaar so würde führen und leiten können, dass es mit dem Leben als Eheleute zumindest etwas klar kommen würde. Nicht nur ich, auch meine Frau, die liebe Ilse war ohne Erfahrung, aber immerhin hatte sie ihre Eltern, die uns vielleicht helfen würden, damit wir auf dem uns neuen und völlig unbekannten Lebensweg gut und sicher miteinander auskommen und die uns die Hilfestellungen geben, mit denen es möglich sein wird, gemeinsam die jetzt schweren Zeiten zu überstehen, vor allem auch, weil wir doch unter einem Dach wohnten. Aber dem war dann doch nicht so und fühlte ich mich sehr allein, als ein Fremdling bei den Eltern von Ilse, für die ich ja auch ein Fremder war.

Eltern

Was mir jetzt sehr fehlen wird, das ist meine Mutter, die es aber nicht mehr gab. Sie war in dem jungen Alter von nur 50 Jahren elendig gestorben. Mir war zwar mein Vater verblieben, auch wenn ich seit vielen Monaten nichts mehr vom ihm gehört hatte, weil es in der Zeit von Januar bis Mai 1945 kaum noch eine funktionierende Feldpost gab und in der Gefangenschaft gab es dann überhaupt keine Möglichkeiten mehr. Aber mein Vater würde mir wohl kaum helfen können, nicht beim Wiederaufbau meines Lebens und schon gar nicht mit Ratschlägen für mein neues Leben als Ehemann. Das hätte nur meine Mutter gekonnt, nicht zuletzt wegen ihrer pragmatischen Einstellung und Verhaltensweise, mit der sie auch an schwerste Probleme heranging und sie immer in den Griff bekommen hatte. Diese, ihre Art war zwar nicht immer als gut und richtig von meinem Vater und auch nicht von mir angesehen worden, aber jetzt wäre sie als dringende Notwendigkeit am Platze gewesen.

Ich war zwar froh, schon so früh aus der Gefangenschaft entlassen zu sein, aber zu der Freude kamen die mich sehr bedrückenden Gedanken, die noch dazu überschattet wurden von der Ungewissheit, ob ich überhaupt noch meinen Vater vorfinden werde, wenn ich wieder in der Heimat bin und auch davon, wie das neue Leben gemeistert werden soll, das nicht nur völlig neu, sondern auch völlig fremd und total ungewiss sein würde. Ich wusste nicht, wie das werden sollte und war dabei innerlich völlig zerrissen, auch weil ich mir die Heimkehr aus dem verdammten Krieg, selbst in beschissenen Situationen doch anders vorgestellt hatte. So war es kein Wunder, dass ich, als ich aus dem Lager kommend in Oldenburg gelandet war, innerlich und äußerlich als ein kaputter Mann jetzt meinen Weg als freier Mann in die Heimat antreten sollte und konnte, aber nicht mehr die alte Heimat Aumund, sondern in das neue, aber völlig fremde Domizil, das in Lesum auf mich wartete.

Vom Soldaten zum Zivilisten?

Nach den vielen Jahren Krieg war es nicht leicht, einfach umzuschalten und vom Soldaten zum Zivilisten zu werden, auch wenn wir immer vom Frieden und vom zivilen Leben geträumt hatten in der Zeit des Grauens und Schreckens, die uns der Krieg in seinem schrecklichen Verlauf "bescherte". Eine Zeit, in der wir nicht wussten, ob und wie wir aus dem Elend überhaupt herauskommen würden und wie wir in ein ziviles Leben hineinkommen werden.

Gerne hätte ich mich an dem Tag in Oldenburg noch etwas umgeschaut. Aber das war nicht möglich, weil ich noch bei Tageslicht weiter musste, ein längerer Aufenthalt in der Stadt war nicht gestattet. Außerdem gab es in der Zeit die von der Besatzung angeordneten Sperrstunden und da musste man von den Straßen sein. Abgesehen davon, wollte ich aber schnellstens nach Lesum, um zu sehen, ob dort überhaupt noch alles in Ordnung ist.

Ankunft in Lesum als freier Mann

Es war am 17. Juli 1945, als ich in Lesum zwar als ein freier Mann ankam, aber körperlich als ein sehr geschwächter Mann. Wie sich einige Tage später herausstellte, hatte ich nur noch ein Körpergewicht von 125 Pfund. Das war schon ziemlich wenig für mich und ich war nicht sonderlich bei Kräften. Ich war in einem Schwächezustand, in dem ich nur sehr mühsam in der Lage war mich auf den Beinen zu halten, und so waren auch meine Bewegungen sehr schleppend, nur langsam konnte ich gehen und kam mir vor wie ein uralter Mann. Schwäche und Erschöpfung führten dazu, dass meine Beine nicht mehr so wollten, wie sie eigentlich sollten.

Mit banger Erwartung war ich aus dem Zug ausgestiegen, um dann ganz langsam den kleinen, steilen Weg hochzugehen zur Hindenburgstraße, dann runter zur Schneiderstraße, am Haus vom Kohlenhändler Bielefeld vorbei und dann auf die gegenüberliegende Straßenseite zu gehen, wo sich auf der Ecke das Lebensmittelgeschäft Brüning befand. Zwischen dem Laden von Brüning und dem Laden des Schlachtermeisters Lindemann sah ich ein weibliches Wesen, das mir sehr bekannt vorkam. Das war Ilse, die gerade einige Besorgungen gemacht hatte, soweit die mit den Lebensmittelmarken überhaupt möglich waren. Wenn mir die junge Dame auch bekannt vorkam, so hatte Ilse schon einige Schwierigkeiten mit dem Erkennen. Es gab nicht mehr sehr viel Ähnlichkeit mit dem Soldaten Werner Mork, der nach Weihnachten 1944 sich verabschiedet hatte, um als nur noch "Garnisondienstfähiger" nach Frankfurt/Oder zu fahren und dann über Nacht wieder "Kriegsdienstverwendungsfähig" wurde. Doch dann gab es einen lauten Aufschrei der dazu führte, dass aus dem Laden von Brüning Leute auf die Straße liefen, weil sie dachten, der jungen Frau sei etwas passiert. Was ja auch stimmte, was aber kein Unheil war. Nun nahmen alle Anteil an der Heimkehr des Soldaten, und es gab Glückwünsche über die doch schon frühe Ankunft eines aus der Gefangenschaft entlassenen Soldaten, denn Entlassungen waren im Juli 1945 noch eine Seltenheit.

Bei der allgemeinen Freude war ich nun langsam von den Beinen gekommen und konnte mich kaum noch auf dem Gehweg halten, mich überkam eine ziemliche Schwäche, nur sehr mühsam gelang es, mit Ilses Hilfe in den Leeseweg zu kommen, dorthin, wo nun meine neue Heimat sein sollte. Ich gehörte zu den wenigen Glücklichen, der mit seiner Frau eine Wohnung hatte, die noch dazu neu und für uns zwei völlig ausreichend war.

Zur Person

Werner Mork wird am 3. Juli 1921 in Vegesack (Bremen) geboren. Er besucht die Volksschule. Der Besuch des Realgymnasiums bleibt ihm nach eigener Aussage aufgrund der gewerkschaftlichen Tätigkeiten seines Vaters verwehrt. Werner Mork macht eine Ausbildung zum Radioverkäufer. Ab 1940 leistet er Arbeitsdienst in Worpswede, anschließend ist er beim Militär in Hannover. Nach dem Zweiten Weltkrieg macht er sich mit einem Radiogeschäft selbstständig. Immer wieder ist er durch Krankheit beeinträchtigt. In den 1960er Jahren zieht er nach Kronach (Bayern), um dort bei Loewe zu arbeiten und geht schließlich im Alter von 63 Jahren in Rente.

Empfohlene Zitierweise:
Mork, Werner: 1945: Den Krieg überlebt. Doch was nun?, in: LeMO-Zeitzeugen, Lebendiges Museum Online, Stiftung Haus der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland,
URL: http://www.hdg.de/lemo/zeitzeugen/werner-mork-1945-den-krieg-ueberlebt.html
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