Heinrich Lübke ist von 1959 bis 1969 der zweite Bundespräsident der Bundesrepublik Deutschland. Der Vermessungs- und Kulturingenieur gerät zur Zeit des Nationalsozialismus mehrmals in Konflikt mit dem Regime, arbeitet während des Zweiten Weltkriegs jedoch in einem nationalsozialistischen Ingenieurbüro. In seiner Amtszeit fordert der CDU-Politiker das Selbstbestimmungsrecht aller Deutschen im Hinblick auf ein wiedervereintes Land und engagiert sich als einer der ersten Politiker in der Bundesrepublik in der Entwicklungshilfe.
- 1894
14. Oktober: Heinrich Lübke wird in Enkhausen/Westfalen als zweitjüngstes von acht Kindern geboren. Er lebt in einem katholischen Elternhaus. Sein Vater, Friedrich Lübke, ist ein Schuhmachermeister und verstirbt früh.
- 1914
Beginn des Studiums der Geodäsie, Landwirtschaft und Kulturbautechnik an der Landwirtschaftlichen Hochschule in Bonn.
Nach Beginn des Ersten Weltkriegs meldet sich Lübke als Freiwilliger und durchläuft eine Ausbildung zum Artilleristen.
- 1914-1918
Er steigt zum Leutnant der Reserve auf und wird mit dem Eisernen Kreuz erster und zweiter Klasse ausgezeichnet. Die gesammelten Kriegserfahrungen prägen sein Leben.
- 1919
Fortsetzung des Studiums an der Landwirtschaftlichen Hochschule in Bonn und an der Universität in Berlin.
- 1921
Diplom als Vermessungs- und Kulturingenieur.
- 1921/22
Studium der Staatswissenschaft in Münster.
- 1921-1923
Tätigkeit im ländlichen Siedlungswesen in Münster.
- 1923-1933
Geschäftsführer landwirtschaftlicher Organisationen in Berlin.
Initiator des Zusammenschlusses der Klein- und Mittelbauernverbände zur „Deutschen Bauernschaft“, deren Leitung Lübke 1927 übernimmt.
- 1929
Heirat mit Wilhelmine Keuthen. Die Ehe bleibt kinderlos.
- 1931-1933
Abgeordneter im Preußischen Landtag für die Zentrumspartei.
- 1933
1. April: Eintägige Inhaftierung.
11. Juli: Auflösung der Deutschen Bauernschaft durch das
NS-Regime. - 1934
5. Februar: Verhaftung unter dem Vorwand von Wirtschaftskorruption in Lübkes Stelle als Geschäftsführer der Deutschen Bauernschaft.
März: Entlassung aus allen Ämtern durch die Nationalsozialisten. Mehrmonatige Gefängnisaufenthalte und Verhöre folgen. Beschwerliches Bestreiten des Lebensunterhalts mit Gelegenheitsarbeiten bis 1937.
- 1939-1945
Mitarbeiter des Berliner Architekten- und Ingenieurbüros von Walter Schlempp. Die Baugruppe Schlempp ist dem Generalbauinspekteur für die Reichshauptstadt, Albert Speer, dienstverpflichtet. Sie verantwortet den Bau ziviler sowie militärischer Anlagen, u. a. Baracken für Konzentrationslager und die Heeresversuchsanstalt Peenemünde. Lübkes Aufgabenspektrum in Peenemünde als Schlempps Stellvertreter und örtlicher Baugruppenleiter umfasst die Beaufsichtigung und Abrechnung der Bauarbeiten sowie den Einsatz des Personals. Zwangsarbeiter und ab 1943 auch Inhaftierte aus Konzentrationslagern werden für die Bauarbeiten eingesetzt. Zudem betreut die Baugruppe Schlempp mehrere Untertagbaue, deren gefährliche Arbeiten Inhaftierte aus dem KZ Buchenwald ausführen. Etliche Menschen kommen dabei ums Leben. Aus dieser Zeit ergeben sich später Vorwürfe gegen Lübke.
- 1941
Lübke erhält das Kriegsverdienstkreuz am Bande.
- 1942
Beförderung zum Hauptmann der Reserve, ohne jedoch nochmals Wehrdienst geleistet zu haben.
- 1944
Ab Juni: Stellvertretender Leiter des "Architektur- und Ingenieurbüros Schlempp".
Juli: Nach dem gescheiterten Stauffenberg-Attentat soll auch Lübke im Rahmen der "Aktion Gewitter" verhaftet werden. Er flüchtet jedoch nach Bayern und entgeht einer Festnahmen. Lübke war in der „Baugruppe Schlempp“ als Regimekritiker bekannt. Es soll politisch gefährdete Menschen in der Baugruppe untergebracht und somit vor der Verfolgung geschützt haben. Innerhalb der Bevölkerung wird dies später positiv aufgenommen. Größere Kritik an seinem Wirken bleibt aus.
- 1945
Eintritt in die Christlich Demokratische Union (CDU).
- 1946
30. April: Berufung in den Beratenden Westfälischen Provinzialrat in Münster durch die Britische Militärregierung. Einsatz u. a. für Siedlungspolitik zugunsten von Flüchtlingen und Vertriebenen.
Oktober: Nach der Gründung des Bundeslandes Nordrhein-Westfalen beruft die Militärregierung Lübke zum Landtagsabgeordneten in Düsseldorf.
- 1947
6. Januar: Ernennung zum nordrhein-westfälischen Minister für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten. Er setzt sich u. a. für die Eingliederung von vertriebenen Landwirten ein. Mehrfach fordert er gegenüber der Militärregierung, das deutsche Volk nicht verhungern zu lassen und somit die beginnenden demokratischen Prozesse zu gefährden. Für seine Leistungen im Amt gewinnt Lübke Ansehen über die eigenen Parteilinien hinaus.
- 1949
Mitglied des ersten Bundestags. Lübke übt das Mandat neben seinem Landtagsmandat aus, was zu dem Zeitpunkt noch möglich ist.
Übernahme des Agrarausschusses des Bundestags.
- 1950
September: Aufgabe des Bonner Mandats nach der Wiederwahl in den nordrhein-westfälischen Landtag wenige Monate zuvor.
- 1952
Ausscheiden aus der Landesregierung in Düsseldorf aufgrund gesundheitlicher Probleme in Folge eines Autounfalls.
- 1953
Kurzzeitig Generalanwalt des Raiffeisenverbandes in Bonn.
Juli: Verleihung der Ehrendoktorwürde der Landwirtschaftlichen Fakultät der Universität Bonn für sein Wirken in Nordrhein-Westfalen.
September: Erneute Wahl in den Bundestag.
Modernisierung der Landwirtschaft als Bundesminister für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten im Kabinett Adenauer, u. a. durch Rationalisierung, Technisierung sowie Flurbereinigung.
- 1955
September: Verabschiedung eines Landwirtschaftsgesetzes, welches die Landwirtschaft in das Wirtschaftswachstum miteinbezieht und sich auf die Ernährungssicherheit der Bevölkerung fokussiert.
- 1959
April: Bundeskanzler Adenauer bewirbt sich um das Amt des Bundespräsidenten.
Juni: Rückzug Adenauers Kandidatur. Es folgt eine hastige Suche nach einem Ersatzkandidaten, mehrere CDU-Politiker verzichten auf eine Kandidatur. Lübke wird durch die CDU/CSU nominiert. Seine agrarpolitischen Errungenschaften werden mit Ludwig Erhards wirtschaftspolitischen Erfolgen gleichgesetzt.
1. Juli: Wahl zum Bundespräsidenten. In seiner Dankesrede bekräftigt Lübke sein Streben nach einem freiheitlichen und wiedervereinigten Deutschland.
2. September: Niederlegung seines Bundestagsmandats.
12. September: Ausscheiden aus der Bundesregierung.
15. September 1959: Beginn der Amtszeit als zweiter Bundespräsident.
Lübke strebt den Zusammenschluss der europäischen Nationen, eine enge Zusammenarbeit mit Frankreich und die Aussöhnung mit Israel an. Er bezieht öffentlich Position gegen Adenauers Ziel, Großbritanniens in die Europäische Wirtschaftsgemeinschaft zu integrieren.
Lübke kämpft gegen den Hunger in der Welt und setzt auf Entwicklungshilfe. Erst rückwirkend werden seine frühen Bemühungen anerkannt.
- 1960
Verleihung des Ehrendoktors der Tierärztlichen Fakultät der Universität München aufgrund Lübkes Leistungen in der Bekämpfung von Tierseuchen sowie in dessen Bemühungen um die Verbesserung des Gesundheitszustands der Bevölkerung.
- 1961
13. August: Lübke setzt sich nach dem Bau der Berliner Mauer für eine Große Koalition zwischen CDU/CSU und SPD ein. Die Regierung müsse die nationale Einheit verkörpern.
17. September: In der Bundestagswahl 1961 verliert die Union ihre absolute Mehrheit, SPD und FDP gewinnen hinzu. Lübke versucht seinen Kompetenzrahmen auszuweiten, indem er selbst einen CDU-Kanzlerkandidaten vorschlagen will, der bereit wäre mit der SPD zu regieren. Bundestagspräsident Eugen Gerstenmeier verweigert eine mögliche Kampfkandidatur gegen Bundeskanzler Adenauer allerdings. Die CDU/CSU geht eine Koalition mit der FDP ein. Adenauer wird erneut Kanzler.
14. November: Widerwillige Ernennung Gerhard Schröders (CDU) zum Außenminister, dessen Haltung während der Berlin-Krise Lübke kritisiert. Mehrfach scheitern seine Einwände gegen einzelne Ministervorschläge oder Interventionen gegen die Ernennung von Staatsmitarbeitern, mit deren Politikstil er nicht einverstanden ist. Erfolge feiert Lübke hingegen beim Ausschlagen von Kandidaten, welche als NSDAP-Mitglieder hohe Ämter ausübten.
- 1962
Erhalt des Berliner Ehrenbürgerrechts.
- 1963
Weigerung der Ernennung des Senatsrats Carl Creifelds zum Bundesrichter aufgrund dessen Tätigkeit im Reichsjustizministerium während der Zeit des Nationalsozialismus. Damit widersetzt sich Lübke dem Votum des Richterwahlausschusses und des Bundesministers der Justiz. In der Öffentlichkeit wird Lübkes Entscheidung positiv aufgenommen.
Mehrfach interveniert er erfolgreich bei Ernennungen von hohen Beamten und Generälen, die während der Zeit des Nationalsozialismus hohe Positionen ausübten.
11. Juni: Proklamation des 17. Junis als „Tag der deutschen Einheit“. Lübke hält an einem wiedervereinten Deutschland fest: „Was zusammengehört und zusammen war, wird auch zusammenkommen.“ Anlass ist der zehnte Jahrestag des gescheiterten Volksaufstands in der DDR.
- 1964
1. Juli: Wiederwahl zum Bundespräsidenten.
Lübkes Gesundheitszustand verschlechtert sich, u. a. ist auch Lübkes Sprachzentrum spürbar angegriffen.
Seine zweite Amtszeit wird von der Diskussion um seine Tätigkeit in der Baugruppe Schlempp während der NS-Zeit überschattet. In der DDR werden immer wieder Beweise präsentiert, die Lübkes Verwicklung in die Verbrechen des NS-Regimes beweisen sollen. Es geht der DDR vor allem darum, Lübke zu diskreditieren. Einige Anschuldigungen sind falsch, einige Beweise werden später als authentisch bestätigt. Die westliche Öffentlichkeit und auch die Medien greifen die Vorwürfe auf. Er wird als „KZ-Baumeister“ beschimpft. Lübke selbst streitet die Vorwürfe als Angriff auf das Amt des Bundespräsidenten öffentlich ab. Einstige Mitarbeiter bekräftigen hingegen Lübkes regimekritische Haltung. Sein öffentlicher Ruf leidet unter den Vorwürfen, die zu seinem Rücktritt im Sommer 1969 stark beitragen.
Auch heute lässt die Forschung aufgrund der lückenhaften Quellenlage keine eindeutige Aussage über Lübkes Verantwortung im NS-Staat während des Krieges zu.
- 1965
Mai: Auszeichnung des CDU-Bundestagsabgeordneten und ehemaligen NSDAP-Mitglieds Hermann Conring mit dem Großen Bundesverdienstkreuz. Aufgrund Conrings Rolle während der deutschen Besatzung in den Niederlanden, stößt die Auszeichnung auch im Ausland auf viel Kritik. Conring verzichtet schließlich auf Lübkes Drängen auf die Aufzeichnung.
Als Folge verordnet Lübke, eine Prüfung der Auszuzeichnenden auf eine Mitgliedschaft in der NSDAP und ihre Rolle im NS-Staat.
August: Zum 15jährigen Bestehen der Charta der deutschen Heimatvertriebenen bekennt sich Lübke zum „Recht auf Heimat“ und spricht bezüglich der Vertreibungen aus den ehemaligen deutschen Ostgebieten während und nach dem Zweiten Weltkrieg von einem „Akt der Willkür“ und einer „Verletzung der Menschenrechte“. Er spricht sich gegen die Anerkennung der Oder-Neiße-Linie als ostdeutsche Grenze aus und wünscht sich stattdessen ein Gebiet, in dem deutsche und polnische Menschen gemeinsam und mit einer doppelten Staatsbürgerschaft leben können.
- 1967
Der Pazifistin Klara Maria Fassbinder wird ein Orden für ihre Verdienste im französischen Bildungswesen verliehen. Lübke verweigert ihr die notwendige Erlaubnis, Orden ausländischer Regierungen anzunehmen. Dies begründet er mit Verfassungsschutzinformationen, die ihr Kontakte in die sozialistischen Staaten Europas nachsagen. In der Öffentlichkeit wird Lübkes Entscheidung negativ aufgenommen.
- 1968
14. Oktober: Lübke kündigt an zum 30. Juni 1969 auf sein Amt zu verzichten. Die Regierung Kiesinger begrüßt die Entscheidung
- 1969
30. Juni: Rücktritt drei Monate vor Ablauf der Wahlperiode.
- 1972
6. April: Heinrich Lübke stirbt in Bonn an Magenkrebs.
13. April: In seiner Traueransprache würdigt Bundespräsident Gutstav Heinemann Lübke beim Staatsakt und betont die Fehlerhaftigkeit der Informationen über die Rolle seines Amtsvorgängers im NS-Staat.
(iz/AHm) © Stiftung Haus der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland
Stand: 13.04.2022
Text: CC BY NC SA 4.0
Empfohlene Zitierweise:
Zündorf, Irmgard/Hartmann, Anastasia: Biografie Heinrich Lübke, in: LeMO-Biografien, Lebendiges Museum Online, Stiftung Haus der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland,
URL: http://www.hdg.de/lemo/biografie/heinrich-luebke.html
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