Veranstaltungen und Termine

Buchcover, Leipziger Universitätsverlag
Dr. Merve Lühr, Foto: Privat

Erst verordnet, dann vermisst. Das sozialistische Kollektiv vor und nach 1989/90
Vortrag und Gespräch mit Dr. Merve Lühr (Kulturanthropologin und Historikerin)
Moderation: Dr. Uta Bretschneider (Direktorin des Zeitgeschichtlichen Forums Leipzig)
In Kooperation mit dem Institut für Sächsische Geschichte und Volkskunde

Betrieb und Kollektiv waren zwei prägende Faktoren der DDR-Gesellschaft. Ar-beitskollektive beziehungsweise Brigaden sollten die Menschen in den sozialisti-schen Staat integrieren und nahmen sie zudem für den gesellschaftlichen Zu-sammenhalt in die Pflicht. Die Mitgliedschaft in der Brigade galt als unvermeidlich – sie war ebenso Schutzraum wie Ort der Kontrolle und Disziplinierung.

Stieß der verordnete Kollektiv-Zusammenhalt bis 1989 keinesfalls nur auf Zustimmung, verschob sich nach dem Ende der DDR die Bedeutungszuschreibung der Brigaden in der Erinnerung ehemaliger Mitglieder. Für viele symbolisierten sie nun Verlorenes: sozialen Zusammenhalt und Kollegialität. Der repressive Aspekt trat in den Hintergrund. Die Historikerin und Kulturanthropologin Merve Lühr hat diesen Deutungswandel in ihrer Dissertation untersucht.

Im Zeitgeschichtlichen Forum Leipzig spricht sie am Beispiel verschiedener Kollektive über die vielfältigen Alltagserfahrungen, die deren Mitglieder gemacht haben – vor und nach 1989. Für ihre Forschungen hat sie einen großen Bestand an Brigadetagebüchern, die als Gruppenchroniken geführt wurden und sich später zu wertvollen Erinnerungsdokumenten wandelten, mit Interviews ehemaliger Betriebsangehöriger verknüpft. Daraus webt sie eine dichte Beschreibung des Kollektivs und seiner Dynamiken im Wandel der Zeit.

Merve Lühr leitet die Geschäftsstelle des Fördervereins zum Aufbau des Dokumentationszentrums IndustrieKulturlandschaft Mitteldeutschland e. V. (DOKMitt) mit Sitz in Borna. Sie studierte Kulturanthropologie/Europäische Ethnologie, Mittlere und Neuere Geschichte sowie Umweltgeschichte in Göttingen. 2013 bis 2020 war sie wissenschaftliche Mitarbeiterin am Institut für Sächsische Ge-schichte und Volkskunde in Dresden, danach wissenschaftliche Mitarbeiterin am Seminar für Kulturanthropologie/Kulturgeschichte der Friedrich-Schiller-Universität Jena. 2024 wurde sie an der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel promoviert. Sie forscht zur Arbeitskultur der DDR, zu Industriekultur, Kinogeschichte, Geschlechtergeschichte und Erinnerungskultur.