Russendisco, Bernsteinzimmer, Stalingrad, Wolgadeutsche – vielfältig und widersprüchlich sind die deutsch-russischen Beziehungen seit Jahrhunderten, geprägt von Furcht und Faszination, von großer Nähe, aber auch tiefen Verletzungen. Das Haus der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland geht vom 3. Dezember 2003 bis 12. April 2004 in seiner neuen Wechselausstellung "Spuren – Sledy. Deutsche und Russen in der Geschichte" ausgewählten "Spuren" nach.
Die Ausstellung, die in enger Zusammenarbeit mit dem Staatlichen Historischen Museum Moskau entstand, zeigt rund 1.000 Exponate, davon viele aus Museen in Moskau, St. Petersburg oder Workuta/Sibirien: vom Ansiedlungsdekret der russischen Zarin Katharina II. für die Wolgadeutschen, dem Erinnerungsalbum der Fürstin Gagarin aus Baden-Baden, dem "russischen" Kurort des 18. Jahrhunderts, einem Schrein mit "heiliger Erde" aus Stalingrad bis zum virtuellen Rundgang durch das Bernsteinzimmer.
Die "Spuren" veranschaulichen Trennendes und Gemeinsames. Ihr Spektrum wird thematisch und historisch bewusst weit gefasst: Orte, Gebäude, Denkmäler, auch Kunstwerke oder Gemeinschaftsprojekte. So zeigt sich in der Gesamtbetrachtung ein repräsentativer Querschnitt deutsch-russischer Begegnungen, der eine Verengung des Blicks auf die traumatischen Erfahrungen von Krieg und Diktatur vermeidet. In sechs thematischen "Kapiteln" der Ausstellung verdichten sich die Spuren Projektionen, Heimat, Krieg, Widersprüche, Faszination und Perspektiven.Die wechselseitigen Wahrnehmungen, die jeweils dominierenden politisch geprägten Bilder und Gegenbilder sowie die Klischees, die sich über lange Zeiträume herausgebildet haben, sind Gegenstand der Projektionen. Die russische Siedlung Alexandrowka in Potsdam ist ein Symbol preußisch-russischer Freundschaft und zugleich ein Spiegel zeitgenössischer Vorstellungen vom "typisch Russischen", Stalinstadt/Eisenhüttenstadt ein Beispiel für die Übernahme des sowjetischen Vorbilds durch die DDR.
Heimat geht von einem territorialen Zugang aus: Die Situation der Russen in Berlin heute wird ergänzt durch einen Blick auf die 1920er Jahre "Deutsche in Moskau" thematisiert die Geschichte der deutschen Gemeinde vor 1914 im Kontrast zur Gegenwart. Die Spuren "Wolgadeutsche" und "Kaliningrad" ergänzen diesen Ausstellungsbereich.Eine tiefe Zäsur in den deutsch-russischen Beziehungen bilden die Spuren, die der Krieg hinterließ. Sie zeigen Formen der Erinnerung und Aufarbeitung des Zweiten Weltkriegs und der Lagerhaft am Beispiel von Stalingrad und des Stammlagers 326 (VI K) Senne bei Schloss Holte-Stukenbrock für sowjetische Kriegsgefangene. Hinzu kommen Spuren des Lagerkomplexes Workuta und des russischen "Speziallagers" Sachsenhausen.Widersprüche thematisiert Spannungen zwischen Anspruch und Wirklichkeit im deutsch-russischen Verhältnis: Das "Hotel Lux" steht in den 1930er Jahren für Zuflucht vor nationalsozialistischer Verfolgung, aber auch für stalinistischen Terror, Angst und Denunziation. Weitere Spuren sind die "Gesellschaft für Deutsch-Sowjetische Freundschaft", die Sowjetische Aktiengesellschaft Wismut und die Kasernenstadt Wünsdorf.Faszination stellt die gegenseitigen positiven kulturellen Einflüsse in den Mittelpunkt von den literarischen Beziehungen, z.B. der "Wahlverwandtschaft" Böll/Kopelew, über den Einfluss des russischen Balletts, dem fruchtbaren Austausch zwischen dem Bauhaus und der avantgardistischen Architektur in der Sowjetunion bis zur Begeisterung russischer Adliger und Schriftsteller für deutsche Kurorte wie Baden-Baden.Perspektiven skizziert in Schwerpunkten neue Formen der Zusammenarbeit nach dem Fall der Mauer von der Vernetzung bei der Versorgung mit Erdgas bis zur Rekonstruktion des Bernsteinzimmers. "Spuren-Sledy" steht im Kontext der deutsch-russischen Kulturbegegnungen 2003/ 2004.