Vergangene Ausstellung
04.06.1998 bis 20.09.1998

vis-à-vis

Deutschland – Frankreich

In seiner Reihe "Deutschland und seine Nachbarn" veranstaltet das Haus der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland eine Ausstellung zur Entwicklung der deutsch-französischen Beziehungen in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts. Bis 1945 gelten Deutschland und Frankreich als "Erbfeinde". Nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges siegt der Wille zum friedlichen Neben- und Miteinander. Die deutsch-französischen Beziehungen gelten heute international geradezu als Sinnbild erfolgreicher Aussöhnung zweier Nationen.

Dennoch sind alte Ängste und neue Sorgen nicht ganz verschwunden. Vorurteile aus drei bis vier Generationen "Erbfeindschaft" wirken im Bewußtsein der Öffentlichkeit fort. Auch werden nicht alle Chancen zum gegenseitigen Kennenlernen und Verstehen genutzt. Der Nachbar, seine Politik und seine Menschen, werden noch allzu oft in stereotypen Vereinfachungen gesehen und dargestellt. Die Ausstellung zeigt, wie einzelne Ereignisse, Persönlichkeiten und Themen das Bild vom Nachbarn prägen. Sie fragt nach dem Fortleben von Stereotypen, stellt neues Denken in Politik, Wirtschaft und Kultur vor und will die Besucher anregen, Selbst- und Fremdbilder kritisch zu überprüfen.

"Erbfeinde"
Seit Beginn der Neuzeit sind Deutschland und Frankreich machtpolitische Gegenspieler. Doch erst die Herrschaft Napoleons und die Einigungskriege des 19. Jahrhunderts erwecken in beiden Ländern ein Nationalgefühl mit anti-deutschem und anti-französischem Akzent. Nationale Klischees und Feindbilder vergiften bis ins 20. Jahrhundert Politik und öffentliche Meinung. Die deutsch-französischen Beziehungen werden auf ein Wechselspiel von Sieg und Niederlage, Demütigung und Revanche reduziert. Symbol dieser verhängnisvollen Verkettung ist der Eisenbahnwaggon von Compiègne, 1918 und 1940 Zeuge der deutschen Niederlage im Ersten und der französischen Niederlage im Zweiten Weltkrieg. Die Härten der deutschen Besatzung in Frankreich, vor allem die Verbrechen in Oradour-sur-Glâne 1944, haften im französischen Gedächtnis.

Politik der Vernunft
Nach 1945 stehen Deutschland und Frankreich vor unterschiedlichen politischen Situationen. Deutschland verliert seine nationale Einheit, ist moralisch diskreditiert und vorerst unter alliierter Herrschaft. Frankreich bleibt Nationalstaat mit historischem Selbstbewußtsein und Großmachtanspruch. In seiner Besatzungszone betreibt Frankreich eine harte Demontagepolitik. Demgegenüber zielen seine kulturpolitischen Initiativen auf den Wiederaufbau der kulturellen Infrastruktur und den Anschluß Deutschlands an zeitgenössische kulturelle Strömungen. Um die Überwindung tiefsitzender historischer Ängste bemühen sich zunächst vor allem mutige und engagierte Privatpersonen. Auf lokaler Ebene bieten Städtepartnerschaften bald ein Forum für den deutsch-französischen Dialog. Im Rahmen der europäischen Einigung finden auch die Politiker beider Länder schrittweise zu einer neuen Form des Miteinanders, die unmittelbaren Ausdruck findet in der Lösung der Saarfrage. Der Elysée-Vertrag von 1963 gibt den deutsch-französischen Beziehungen eine neuartige völkerrechtliche Form. Regelmäßige politische Konsultationen, militärische Zusammenarbeit und Jugendaustausch prägen fortan den Alltag der Nachbarländer.

Partner und Konkurrenten

Zusammenarbeit und Wettbewerb kennzeichnen die wirtschaftlichen Beziehungen. Frankreich, 1945 noch ein überwiegend agrarisch geprägtes Land, wird führender Anbieter von Spitzentechnologie in Luft- und Raumfahrt, im Verkehrswesen und in der Energiewirtschaft. Das Industrieland Deutschland findet in Frankreich seinen wichtigsten Exportpartner für technische Investitions- und Konsumgüter. Doch aller wirtschaftlichen Dynamik zum Trotz verbinden die Verbraucher in beiden Ländern mit den Produkten des Nachbarn jeweils nationaltypische Charakteristika. Die Produktwerbung bedient sich vorhandener Klischees. "Savoir-vivre", französische Lebensart und Lebensfreude, steht gegen "savoir-faire", deutschen Perfektionismus und deutsches Organisationstalent, ungeachtet ähnlicher wirtschaftlicher Rahmenbedingungen in beiden Ländern und gleicher Herausforderungen im internationalen Wettbewerb. Große Breitenwirkung entfalten Film und Fernsehen. Hier und in der modernen Pop-Kultur leben traditionelle positive und negative Stereotypen fort. Die Popularität von Schauspielern und Musikern im jeweils anderen Land macht Unterschiede und Gemeinsamkeiten im Lebensgefühl der Menschen sichtbar.

Frankreich und das "andere Deutschland"
Schon früh knüpfen französische und deutsche Kommunisten, häufig geprägt von gemeinsamen Erfahrungen aus Exil und Widerstand, gegenseitige Verbindungen. Besonders das Konzentrationslager Buchenwald ist ihnen eine Stätte des Erinnerns und der Verpflichtung für die Zukunft. Die DDR sieht sich als legitime Erbin der Revolutionen des 18. und 19. Jahrhunderts, feiert den Sturm auf die Bastille von 1789 und den Aufstand der Pariser Commune von 1870/71 als Teil der Geschichte des Sozialismus. Die offiziellen Beziehungen Frankreichs zur DDR führen demgegenüber eher ein Schattendasein. Diplomatische Anerkennung und Staatsbesuche sind abhängig von der internationalen Entspannungspolitik. Auf Industriemessen und in ihrem Pariser Kulturinstitut wirbt die DDR für ihre Politik, Wirtschaft und Kultur.

Deutschland und Frankreich im neuen Europa
Die Wiedervereinigung Deutschlands und die Umbrüche in Osteuropa sind eine neue Herausforderung für das deutsch-französische Verhältnis. Latentes Mißtrauen gegen das scheinbar übermächtige Deutschland belastet die bilateralen Beziehungen. "D-Mark-Diktat" und atomare Experimente Frankreichs sorgen für Irritationen. Erst nach einigem Zögern wirkt Frankreich aktiv am Vereinigungsprozeß mit und nutzt seine Chance als Investor in den neuen Bundesländern. Die industrielle deutsch-französische Zusammenarbeit erfährt in der Luft- und Raumfahrtechnik neue Impulse. Der Wettbewerb, etwa im Schienenverkehr, und unterschiedliche Unternehmenskulturen bestehen fort. Mit dem Vertrag von Maastricht gewinnt das deutsch-französische Verhältnis eine neue Qualität.